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Wenn die Ersatzbeschaffung länger dauert

Wie verhält es sich mit dem Nutzungsausfall, wenn die Ersatzbeschaffung längere Zeit in Anspruch nimmt? Fragt man Versicherer, ist das persönliches Risiko und nicht zu erstatten. Ein Geschädigter wollte sich damit nicht zufrieden geben und zog vor Gericht. Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 27.05.2020 (Az. 10 U 6795/19) fiel eindeutig aus.
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30.08.2020
ca. 3 Minuten
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Nach einem Totalschaden kann die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges durchaus auch länger dauern als die im Gutachten häufig ausgewiesenen 14 Tage – vor allem wenn die finanziellen Mittel dafür fehlen. Doch wie verhält es sich mit dem Nutzungsausfall für die Zeit, die es länger dauert? Fragt man Versicherer, ist das persönliches Risiko und nicht zu erstatten. Ein Geschädigter wollte sich damit nicht zufrieden geben und zog vor Gericht. Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 27.05.2020 (Az. 10 U 6795/19) fiel eindeutig aus.

Was war passiert?

Bei einem Verkehrsunfall wurde der Wagen des Geschädigten in Mitleidenschaft gezogen. Zunächst beabsichtigte er den Wagen zu reparieren, entschied sich jedoch für den Kauf eines Ersatzfahrzeuges. In der Anfangszeit nutzte der Geschädigte einen Mietwagen, gab diesen jedoch nach 16 Tagen wieder zurück. Weil die Haftung des Unfallgegners unstreitig war, beglich dessen Versicherer die Mietwagenkosten in Höhe von 979,44 Euro.

Für den Folgezeitraum bis zum Kauf des Ersatzfahrzeugs geltend gemachten Nutzungsausfall zahlte der Versicherer jedoch lediglich fünf Tage in Höhe von 595 Euro. Als Begründung erklärte der Versicherer, dass der Geschädigte offenbar keinen Nutzungswillen für ein Fahrzeug gehabt habe, schließlich habe er ja auf eine zeitnahe Ersatzbeschaffung verzichtet.

Der Geschädigte wollte sich damit nicht zufrieden geben und zog vor Gericht. Das zunächst angerufene Landgericht (LG) München II (Urt. v. 06.09.2019, Az. 6 O 1674/19) sprach dem Geschädigten Nutzungsausfall in Höhe von 10.325,56 Euro zu, wobei es die vom Versicherer beglichenen Mietwagenkosten und den bereits gezahlten Nutzungsausfall abzog. Sowohl der Versicherer als auch der Geschädigte waren mit dem Urteil nicht einverstanden und gingen in Berufung.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG München sprach dem Geschädigten Nutzungsausfall für 100 Tage in Höhe von insgesamt knapp 11.300 Euro zu – unter Berücksichtigung der vorab gezahlten 595 Euro. Dabei machte es deutlich: Wie bereits (…) ausgeführt, verkennt der Senat keineswegs, dass nach Teilen der Rechtsprechung ein Nutzungswille fehlt, wenn der Geschädigte nach einem Unfall über längere Zeit keine Reparatur durchführen lässt bzw. kein Ersatzfahrzeug angeschafft hat (…). Zumindest begründet der lange Zeitraum eine von dem Geschädigten zu entkräftende tatsächliche Vermutung für einen fehlenden Nutzungswillen.

Allerdings sah das Gericht einen Zeitraum von drei Monaten im konkreten Fall als nicht als kritisch an. Der Nutzungswille sei vorhanden gewesen, lediglich die finanziellen Mittel für eine Ersatzbeschaffung hätten gefehlt. Solange der Kläger über keine gesicherte Finanzierung für eine Ersatzbeschaffung verfügte, konnte er eine solche nicht vornehmen. Ferner ist ein passendes Fahrzeug auf dem Markt zu suchen. Daher kann für den Nachweis eines Nutzungswillens nicht verlangt werden, dass eine Ersatzbeschaffung unverzüglich vorzunehmen ist.

Insbesondere sah das Gericht das Regulierungsverhalten des Versicherers als Grund für die Verzögerung: Im Übrigen konnte der Kläger vorliegend überzeugend darlegen, dass im Hinblick auf die nicht erfolgte Regulierung seitens des Beklagten (bzw. dessen Regulierungsbeauftragten) wegen der fehlenden Geldmittel eine frühere Ersatzbeschaffung nicht möglich war. Die Einkommenslage des Klägers zwang ihn angesichts der bestehenden Verpflichtungen bezüglich des verunfallten Fahrzeugs nicht dazu, die unverständlich verzögerte Regulierung seitens des Schädigers bzw. dessen Versicherung abzufedern.

Auch sah das Gericht den Geschädigten nicht in der Pflicht seine Vollkaskoversicherung oder einen Kredit in Anspruch zu nehmen, um die fehlende Regulierungsbereitschaft des Versicherers zu kompensieren. Eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen, ist ausnahmsweise nur dann zu bejahen, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird, was gerade nicht der Fall gewesen wäre. Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Zumal der Geschädigte den Versicherer darauf hingewiesen hat, dass er zu einer Finanzierung aus eigenen Mitteln nicht im Stande war.

Vor allem machte das Gericht hinsichtlich der Kaskoversicherung deutlich: Sinn und Zweck der Kaskoversicherung ist gerade nicht die Entlastung des Schädigers. Der Geschädigte musste sich daher nicht vorhalten lassen, dass er die Ersatzbeschaffung nicht über seine Kaskoversicherung abgewickelt hat und die lange Dauer des Nutzungsausfalls dadurch verursacht habe.

Kanzlei Voigt Praxistipp

Dass die Abwicklung eines Verkehrsunfalls – vor allem bei einer Ersatzbeschaffung – längere Zeit in Anspruch nehmen kann, gehört zum Risiko des Schädigers. Allerdings ist der Versicherer zeitnah darauf hinzuweisen, wenn eine Ersatzbeschaffung oder Reparatur nicht aus eigenen Mitteln gestemmt werden kann und von einer zügigen Regulierung abhängt. Die Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt regeln das für Sie!

 
Bildnachweis: look84/Pexels

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