Unfallgeschädigte haben Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Reparaturkosten!
Bei der Beschädigung einer Sache ist der Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 BGB auf Kosten der Wiederherstellung, d.h. die Reparaturkosten beschränkt. Geschädigte können wählen, ob sie konkret oder fiktiv abrechnen. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist nicht möglich (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2021, Az. VI ZR 513/19; 24.01.2007, Az. VI ZR 146/16; s.a. LG Stendal, Urt. v. 26.02.2020, Az. 23 O 86/19).
In einem Urteil des BGH vom 05.04.2022, Az. VI ZR 7/21 heißt es hierzu konkret: „Die unterschiedlichen Abrechnungsarten dürfen aber nicht miteinander vermengt werden. So ist insbesondere eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung unzulässig. Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 18 m.w.N.).“
Wonach bestimmt sich die Höhe der Entschädigung?
Das Landgericht München hat den Umfang der Entschädigung in einem Urteil vom 10.01.2023, Az. 13 O 4125/21 zusammengefasst, wie folgt:
“Wird ein Fahrzeug beschädigt, hat der Geschädigte auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der in er markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten und zwar unabhängig davon, ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (BGH Urt. v. 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19).”
Bei der fiktiven Abrechnung erhält der Geschädigte folglich den erforderlichen Geldbetrag ersetzt, der notwendig wäre, um die beschädigte Sache instand zu setzen. Die Festlegung dieses Betrags kann sachgerecht auf der Grundlage des Gutachtens eines anerkannten Kfz-Sachverständigen erfolgen (z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.02.2017, Az. I-1 U 34/16). Folgerichtig hat der auch der BGH die UPE-Aufschläge und für Verbringungskosten für ersatzfähig erklärt. In dem Urteil vom 25.09.2018 (Az. VI ZR 65/18) heißt es dazu:
„Zu dem erforderlichen Geldbetrag im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gehörten grundsätzlich auch bei fiktiver Abrechnung die UPE-Aufschläge, wenn sie nach den örtlichen Gepflogenheiten bei einer Reparatur angefallen wären. Dies könne aber dann nicht gelten, wenn dem Geschädigten ein Referenzbetrieb genannt werde, der für ihn zugänglich und erreichbar sei und eine sach- und fachgerechte Reparatur anbiete, welche dem Standard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspreche, ohne einen solchen Aufschlag zu erheben. Dann seien die Beträge in Höhe von UPE-Aufschlägen zur Beseitigung des Schadens nicht erforderlich.“
Dies ändert aber nichts daran, dass UPE-Aufschläge eben auch bei fiktiver Abrechnung ersatzfähig sind, wenn sie bei einer Reparatur in einer regionalen markengebundenen Fachwerkstatt üblicherweise anfallen (z.B. LG Lübeck, Urt. v. 19.12.2023, Az. 10 O 38/23).
Da sich die Frage der „Ersatzfähigkeit der UPE-Aufschläge“ aber den allgemeinen Grundsätzen zur Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten entscheidet, kommt es nicht nur darauf an, ob eine geeignete Verweiswerkstatt vorhanden, sondern auch darauf, ob die Verweisung als solche überhaupt zulässig und zumutbar ist. So ist ein Verweis z.B. unzulässig, wenn das beschädigte Fahrzeug älter als drei Monate oder die Verweiswerkstatt mehr als 130 km entfernt ist (BGH, Urt. v. 28.04.2015, Az. VI ZR 267/14). Beilackierungskosten sind ebenfalls zu erstatten (BGH, Urt. v. 17.09.2019, Az. VI ZR 396/18).
Für die Bemessung eines Geldersatzanspruchs sind materiell-rechtlich die Wertverhältnisse im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung maßgeblich (BGH v. 17.10.2006, Az. VI ZR 249/05).
Weiterhin hat der BGH klargestellt, dass eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten insbesondere dann unzumutbar ist, „wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-)üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern auf vertraglichen Vereinbarungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers beruhende Sonderkonditionen zugrunde liegen“ (BGH, Urt. v. 28.05.2015, Az. VI ZR 267/14; Bestätigung: Urt. v. 22.06.2010, Az. VI ZR 337/09).
Umsatzsteuer fällt bei der fiktiven Abrechnung nicht an. Entscheidend ist nicht, ob der Geschädigte eine Ersatzbeschaffung vornimmt oder eine Reparatur durchführt, bei der Umsatzsteuer anfällt, sondern ob er dies zur Grundlage seiner Abrechnung macht (z.B. BGH, Urt. v. 09.05.2006, VI ZR 225/05). Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, ist die im Rahmen einer Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer nicht ersatzfähig (BGH, Urt. v. 13.09.2016, Az. VI ZR 654/15; BGH, Urt. v. 30.05.2006, Az. VI ZR 174/05).
Ein Wechsel der Abrechnungsart ist möglich!
Ein Geschädigter kann, selbst nachdem er zunächst fiktiv abgerechnet hat, immer noch auf die konkrete Abrechnung umschwenken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich in der Folge herausstellt, dass der Schaden höher ist, als zunächst gefordert. Die ursprüngliche Forderung stellt sich dann als (verdeckte) Teilforderung dar. Eine Bindung des Geschädigten an die zunächst gewählte fiktive Abrechnung auf Wiederbeschaffungsbasis nicht auf Gründe des Rechtsfriedens oder einer möglichst zügigen Schadensregulierung ist nicht möglich (BGH, Urt. v 17.10.2006, a.A.o.). An der der gewählten fiktiven Schadensabrechnung muss er sich nur dann festhalten lassen, „wenn die konkreten Kosten einer tatsächlich erfolgten Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der Nebenkosten den ihm aufgrund der fiktiven Schadensberechnung zustehenden Betrag nicht übersteigen“ (OLG München, Urt. v. 08.07.2020, Az. 10 U 3947/19, m.w.N.).
Sofern sich ein Geschädigter für die fiktive Abrechnung entscheidet und das Fahrzeug dennoch reparieren lässt, ist ein Nachweis der vollständigen Reparatur nach den Vorgaben des Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Zudem muss der Geschädigte weder die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten offen- (OLG München, Urt. v. 17.12.2020, Az. 24 U 4397/20) noch die Reparaturkostenrechnung vorlegen (AG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2020, Az. 40 C 134/20).
Wählt der Geschädigte die fiktive Abrechnung, ist bei der Bestimmung des Restwertes des Fahrzeugs lediglich der regionale Markt für den Aufkauf solcher Fahrzeuge am Sitz des Versicherungsnehmers in den Blick zu nehmen (BGH, Urt. v. 14.04.2021, Az. IV ZR 105/20).
Welcher Zeitpunkt ist entscheidend?
Wird eine offene Forderung eingeklagt, ist verfahrensrechtlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entscheidend. Dies dient insbesondere dem Schutz des Geschädigten gegen eine verzögerte Ersatzleistung des Schuldners, d.h. des Schädigers oder dessen Versicherer. Der BGH hat diesen Grundsatz mit Urteil vom 18.02.2020 (Az. VI ZR 115/19) erneut bestätigt und festgestellt, dass „zusätzliche Schäden und eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten vor vollständiger Erfüllung, etwa durch Preissteigerungen, deshalb in der Regel zu dessen Lasten des Schädigers“ gehen.
Beim Wechsel der Abrechnungsart hat ein Geschädigter auch Anspruch auf eine nachträglich eigene Entscheidung (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 15.04.2019, Az. 331 S 65/17; LG Berlin, Urt. v. 24.11.2011, Az. 43 S 152/11; LG Aachen, Entscheidung v. 07.03.2006, Az. S 142/15; OLG Celle, Urt. v. 28.03.2006, Az. 14 U 200/05).
Insbesondere kann der Geschädigte immer noch von der fiktiven immer noch zur konkreten Abrechnung wechseln, wenn er „zunächst auf der Basis einer fiktiven Schadensberechnung Ersatz begehrt, ohne damit eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung auszuschließen. Er kann von der fiktiven Schadensberechnung auf eine konkrete Schadensberechnung wechseln. Falls nach der anschließenden Durchführung der Reparatur die tatsächlichen Reparaturkosten höher als die „fiktiven“ sind, kann er auch noch den Differenzbetrag zwischen diesen und den tatsächlich angefallenen Kosten verlangen“ (LG Hamburg, Urt. v. 15.04.2019, Az. 331 S 65/17).
Sonderthemen
Desinfektionskosten
Dem AG Pinneberg (Urt. v. 03.03.2021, Az. 62 C 86/20), dem AG Köln (Urt. v. 14.01.2021, Az. 261 C 157/20) oder dem AG Amberg (Urt. v. 28.12.2020, Az. 1 C 535/20) zufolge, sind Desinfektionskosten auch bei fiktiver Abrechnung zu erstatten. Begründet wird dies damit, dass auch die Desinfektionskosten bei einer tatsächlichen Reparatur anfallen würden.
Sonderfahrzeuge
Für die fiktive Abrechnung des Schadensersatzes bei einem durch einen Verkehrsunfall beschädigten Kanalinspektionsfahrzeugs hat das OLG Hamm (Urt. v. 24.06.2022, Az. 7 U 30/21) entschieden, dass “wenn ein Markt für die Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Kanalinspektionsausrüstung nicht existiert, die Umrüstung eines im Übrigen gleichwertigen Gebrauchtwagens zu einem Kanalinspektionsfahrzeug jedoch mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist, die (fiktiven) Umrüstungskosten als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts einzustellen und damit im Rahmen des Anspruchs des Geschädigten auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) ersatzfähig sind (in Anschluss an BGH Urt. v. 23.05.2017 Az. VI ZR 9/17).”
Sofern allerdings die Grenze der Verhältnismäßigkeit hingegen – wie hier – im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitspostulat (§ 251 Abs. 2 Satz 1 BGB) überschritten ist, soll nur auf Reparaturkostenbasis abgerechnet werden können.
Ausländisches Recht
Polen
Hat ein Geschädigter Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 415 KC (kodeks cywilny / polnisches Zivilgesetzbuch), kann er nach Art. 363 § 1 S. 1 KC im Falle der Beschädigung einer Sache auch Schadensersatz in Geld verlangen. Dies schließt die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis ein, da sich der Anspruch auf die voraussichtlichen Reparaturkosten bezieht, falls eine Reparatur noch nicht durchgeführt worden ist. Der Anspruch umfasst auch die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer. Ein Erstattungsanspruch wäre bei fiktiver Abrechnung nach polnischem Recht nur dann ausgeschlossen, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.08.2021, Az. 1 U 108/20)