Vergleichbar hatte es sich auch in einem Sachverhalt verhalten, über den das Landgericht Duisburg kürzlich zu befinden hatte (Az. 1 O 41/22). Der Prozess war unumgänglich geworden, nachdem der Versicherer eines unfallverursachenden PKW sich geweigert hatte, den durch das Fehlverhalten des PKW-Fahrers verursachten Schaden zu ersetzen.
Da das Gericht im Rahmen der der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, war, dass der Unfallverursacher gegen die erforderliche Sorgfalt nach § 18 Abs. 3 StVO verstoßen hatte, als er vom Beschleunigungsstreifen auf die rechte Fahrbahn eingefahren war, half die Verweigerungshaltung nur wenig. Aber was bedeutet das im Einzelnen?
Zunächst muss derjenige, der auf eine Autobahn einfahren will, das Vorrecht des Verkehrs auf der Fahrspur beachten. Wer sich auf der Einfädelungsspur bzw. dem Beschleunigungsstreifen befindet, muss sich im Zweifel dem Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn unterordnen und warten. Dies gilt sowohl im fließenden Verkehr als auch in dann, wenn die Fahrzeuge auf der Fahrspur verkehrsbedingt zum Stehen gekommen sind, d.h. in Stausituationen (z. B. OLG Celle, Urt. v. 23.06.2021, Az. 14 U 186/20; OLG Hamm, Beschl. v. 19.05.2020, Az. I-9 U 23/20). Es besteht eine grundsätzliche Wartepflicht gegenüber dem durchgehenden Verkehr, der weder behindert noch gefährdet werden darf. Die Schwelle der Behinderung wird dabei bereits dann überschritten, wenn der Vorfahrtsberechtigte abbremsen muss, um eine Kollision zu vermeiden. Wenn es zu einer Kollision zwischen dem Einfädler und dem Fahrzeug auf der durchgehenden Fahrbahn, spricht der Beweis des ersten Anscheins daher zunächst gegen den Einfädelnden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 24. Oktober 2005 – 16 U 24/05).
Die Vermutung kann allerdings durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Einfädelnde bei seiner Aktion die erforderliche Sorgfalt beachtet.
Ob die – nach den Umständen des Falles gebotene – Sorgfalt beachtet worden ist, ist am Maßstab des sogenannten Idealfahrers zu bemessen. Bei der Wertung des Sachverhalts stellte das Landgericht Duisburg – wie alle anderen Gerichte auch – darauf, ab ob der Unfall auf höhere Gewalt i.S. v. § 7Abs. 2 StVG zurückzuführen oder als unabwendbares Ereignis im Sinne vom § 17 Abs. 3 S. 2 StVG einzustufen gewesen wäre.
Bereits in einer früheren Entscheidung hatte das Gericht ausgeführt (LG Duisburg, Urteil vom 18. Januar 2023, Az. 8 O 118/22), dass ein Ereignis nur dann als unabwendbar gilt, „wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Das setzt voraus, dass das Ereignis auch durch die Anwendung äußerster Sorgfalt nicht abwendbar ist. Dazu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Verhalten, das erheblich über das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinausgeht und den Anforderungen an einen “Idealfahrer” entspricht“.
Dies war in dem zu entscheidenden Sachverhalt aber ebenso wenig gegeben wie höhere Gewalt.
Der PKW-Fahrer hatte angegeben, er sei noch nicht auf der rechten Spur gewesen. Vielmehr habe er auf der Beschleunigungsspur halten müssen. Es habe hohes Verkehrsaufkommen geherrscht und auf der rechten Spur sei ein Stau gewesen. und zum Zeitpunkt des Aufpralls habe er gestanden.
Die Angaben des LKW-Fahrers sahen ganz anders aus. Ihm zufolge habe nicht viel Verkehr geherrscht und „der PKW sei rausgezogen auf die rechte Spur und habe ihm die Vorfahrt genommen“.
Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Fotos der Polizei sowie die Feststellungen des Sachverständigen. Der Fahrer des PKW hatte in seiner Vernehmung angegeben, der Aufprall habe an seinem Fahrzeug sei lediglich eine „kleine Beule am hinteren Seitenteil“ verursacht. „Diese sei vielleicht 2-3 cm tief gewesen und habe einen Durchschnitt von ca. 20 cm gehabt.“ Auf den Fotos der Polizei sah das allerdings anders aus. Diese zeigten nicht nur eine kleine Beule, sondern großflächige Verschürfungen und Verkratzungen. Zudem konnte – den Angaben des hinzugezogenen Sachverständigen zufolge – aus den dokumentierten Schadenspuren geschlossen werden, dass der LKW lediglich geringfügig (ca. 10 km/h) schneller gewesen war als der PKW. Angesichts des Aussage des LKW-Fahrers, er sei maximal 85 km/h schnell gewesen, konnte der OKW somit nicht gestanden haben.
Am Ende des Termins war das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass die Angaben des PKW-Fahrers unzutreffend waren, die Kollision für den LKW-Fahrer überraschend gewesen sein muss und er keine Möglichkeit dazu gehabt hatte, sich auf dessen Fahrverhalten einzustellen. Für eine Mithaftung aufgrund der Betriebsgefahr des LKW sah das das Gericht angesichts des eklatanten Verkehrsverstoßes des PKW-Fahrers keinen Raum mehr.
Am Ende sprach das Gericht dem Halter des beschädigten LKW eine Entschädigung für den unfallbedingten Sachschaden sowie die Wertminderung zu. Dasselbe galt für die Anwaltskosten, die aus Sicht des Halters zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich, zweckmäßig und angemessen waren. Die Prozesskosten kamen noch oben drauf.
Der hier beschriebene Sachverhalt steht exemplarisch für eine Vielzahl vergleichbarer Ereignisse nach dem Muster PKW schneidet LKW an der Auffahrt zur Autobahn. In nahezu jedem Fall behauptet dann der Fahrer des PKW, er habe sich regelkonform verhalten und der LKW-Fahrer sei der „Böse“. Manchmal lassen sich derartige Unterstellungen mittels Dashcam-Aufnahmen widerlegen. Wo dies aber nicht der Fall ist, kommt der Prozesstaktik eine noch wichtigere Rolle zu als ohnehin.
Wir kennen diese und ähnliche Sachverhalte und konnten schon mehr als einmal verhindern, dass unwahre Aussagen des Unfallgegners zu einer ungerechtfertigten Verurteilung unseres Mandanten geführt hätten.
Sollten Sie in einen Unfall verwickelt worden sein, sprechen Sie mit uns!
Wir regeln das für Sie, denn auch mit Lastern kennen wir uns aus.