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Wer auffährt hat Schuld! Stimmt das?

Die Regeln des Anscheinsbeweises sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Instanzgerichte sind eindeutig. Aber der Anscheinsbeweis greift nicht immer!
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07.05.2024
ca. 3 Minuten
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Schließlich spricht vieles dafür, dass ein Auffahrender entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (Urt. v. 13.12.2016, Az. VI ZR 32/16; v. 13.12.2011, Az. VI ZR 177/10; v. 30.11.2010, Az. VI ZR 15/10; v. 16.01.2007, Az. VI ZR 248/05; v. 18.10.1988; Az. VI ZR 223/87).

Einem Urteil des OLG Schleswig zufolge (Az. 7 U 82/23 v. 19.03.2024), wird der Anscheinsbeweis zu Lasten des von hinten Auffahrenden selbst dann nicht erschüttert, wenn der Voranfahrende in der Anfahrtsphase bei Grünlicht abgebremst hat. Dies geht auch konform mit der Rechtsprechung des BGH, wonach Kraftfahrer dazu verpflichtet sind, ihre Fahrweise so einzurichten, dass sie notfalls rechtzeitig anhalten können, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (BGH v. 06.04.1982, Az. VI ZR 152/80).

Die Umstände des Einzelfalls entscheiden!

Allerdings ist auch diese Regel nicht ohne Ausnahmen. Zunächst ist bei der Abwägung insbesondere darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile sind dabei nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Für Verschuldensvermutungen ist dabei kein Raum (Laut BGH (Urt. v. 13.02.1996, Az. VI ZR 126/95). Der jeweilige Halter hat daher die Umstände zu beweisen, die dem Unfallgegner zum Verschulden gereichen und aus denen er die für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will.

So hat der BGH z.B. in einem Urteil vom 13.12.2016 (Az. VI ZR 32/16) festgestellt, dass ein Auffahrunfall als solcher selbst dann nicht für die Annahme eines Anscheinsbeweises ausreicht, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein atypisches Unfallgeschehen nahe legen.

Der Vordermann ist zurückgerollt!

Bekanntermaßen ist nicht jeder Kollision mit dem Heck des vorausfahrenden Fahrzeugs auch zwingend ein Auffahrunfall im engeren Sinne. Und ungeachtet etwaiger Beweispflichten, ist im Straßenverkehrsrecht z.B. für das Rückwärtsfahren i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO ein Erfahrungssatz für eine Sorgfaltspflichtverletzung anerkannt, “wenn feststeht, dass sich das Fahrzeug des Schädigers in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Kollision in Rückwärtsbewegung befunden hat” (LG Lübeck, Urt. v. 26.02.2024, Az. 10 O 251/23).

Bei Verkehrsverstößen haben Verletzer schlechte Karten!

So kann der Anscheinsbeweis z.B. dann nicht zur Anwendung kommen, wenn das Auffahren im räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit dem Einbiegen aus einer untergeordneten Straße geschieht. Wenn ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug außerhalb des Einmündungsbereiches auf ein aus einer untergeordneten Straße eingebogenes anderes Fahrzeug auffährt, das zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht die auf der Vorfahrtsstraße übliche Geschwindigkeit erreicht hatte, kann aus dem typischen Geschehensablauf abgeleitet werden, dass der Unfall auf eine Vorfahrtsverletzung des Einbiegenden zurückzuführen ist.

In einer solchen Konstellation kann der Anscheinsbeweis eher gegen den Vorfahrtsverletzer als gegen den Auffahrenden sprechen (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 28.05.2009, Az. 12 U 43/09; OLG Brandenburg v. 02.04.2009, Az. 12 U 214/08). Dies gilt auch dann, wenn der Zusammenstoß außerhalb des eigentlichen Kreuzungsbereiches stattfindet, weil die Wartepflicht des § 8 Abs. 2 StVO nicht nur für die Kreuzungsfläche gilt, sondern darüber hinaus bis zur vollständigen Einordnung des Wartepflichtigen auf der vorfahrtsberechtigten Straße bzw. bis die auf der Vorfahrtsstraße allgemein eingehaltene Geschwindigkeit erreicht wird oder der Wartepflichtige sich bereits in stabiler Geradeausfahrt befindet (OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007, Az. 12 U 173/06).

Kommt es beim Überholen zu einem Unfall, spricht ein zu geringer Seitenabstand für ein Verschulden des Überholers (LG Köln Urt. v. 19.04.2024, Az. 14 O 65/21).

Dasselbe gilt, wenn ein Überholvorgang noch im Bereich eines Überholverbotes eingeleitet worden und somit gegen das Verkehrszeichen 280 verstoßen worden ist. Ob das Überholverbot später aufgehoben worden ist, spielt dabei selbst dann keine Rolle, wenn der Überholte später links abbiegt (OLG Celle, Urt. v. 13.03.2024, Az. 14 U 122/23).

Alkohol hebt die Anscheinsbeweislage nicht zwingend auf!

In Urteil vom 23. Januar 2015, Az. 10 U 299/14 hat das OLG München festgestellt, dass auch eine Alkoholisierung – selbst im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit – als solche noch keinen Rückschluss auf die Unfallursache erlaubt . Sie darf vielmehr bei der Abwägung nach § 17 StVG nur berücksichtigt werden, wenn sie sich nachweislich in dem Unfall niedergeschlagen hat. 

Der Anscheinsbeweis gilt auch bei berührungslosen Unfällen

Wie das OLG Celle in einem Urteil vom 13.12.2023 (Az. 14 U 32/23) festgestellt hat, gelten die Grundsätze zum Anscheinsbeweis auch bei berührungslosen Unfällen (siehe: Was gilt bei berührungslosen Verkehrsunfällen?)

Praxistipp

Die Ausführungen zeigen: Die Schuldfrage ist nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick erscheint oder der Unfallgegner sie gerne hätte!

Sollten sie in einen Unfall verwickelt worden sein, geben Sie daher vor Ort insbesondere dann kein leichtfertiges Schuldanerkenntnis ab, wenn der Gegner sie dazu drängen will!

Kontaktieren sie besser uns!

Sie wissen ja: Voigt regelt!

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