AG Brandenburg, Urteil vom 24.01.2025, Az. 30 C 75/24
In dem zu entscheidenden Sachverhalt waren die beteiligten Fahrzeuge zunächst mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von ca. 50 km/h gefahren. Als der Pkw bremste, bremste auch der Motorradfahrer. Das Motorrad kam jedoch erst zum Stehen, nachdem es mit dem Heck des Pkw kollidiert war und dieser einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hatte.
Als Grund für ihr Bremsmanöver gab die Autofahrerin ein Reh an, das plötzlich und unvermittelt vor dem Fahrzeug aufgetaucht sei. Aufgrund des Nebels habe sie das Reh erst etwa 30 Meter vor sich gesehen.
Um einen Zusammenstoß mit dem Reh zu vermeiden, habe sie ihr Fahrzeug zunächst leicht und dann noch einmal bis zum Stillstand abgebremst. Das Reh sei dann weggelaufen und das Motorrad aufgefahren.
Nachdem er zunächst mit ausreichendem Abstand hinter dem Pkw hergefahren sei, habe dieser plötzlich und unvermittelt stark bis zum Stillstand abgebremst, ohne die Warnblinkanlage einzuschalten. Er habe zwar ebenfalls sofort gebremst und noch versucht, nach rechts auszuweichen. Dennoch habe er den Zusammenstoß nicht vermeiden können. Das angebliche Auftauchen eines Rehs sei lediglich eine Schutzbehauptung!
Soweit sich aus dem polizeilichen Verkehrsunfallprotokoll ergebe, dass der Motorradfahrer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und deshalb das vor ihm fahrende Fahrzeug beschädigt habe, gehe dies allein auf die Angaben der Autofahrerin zurück. Zudem habe er zu keinem Zeitpunkt ein verkehrswidriges Verhalten eingeräumt. Vielmehr habe er sich aufgrund des gesundheitsgefährdenden Fahrverhaltens der Autofahrerin in einem Schockzustand befunden und sei nicht vernehmungsfähig gewesen.
Zunächst befasste sich das Gericht mit der Frage, ob ein unabwendbares Ereignis vorgelegen haben könnte. Um die Verursachungs- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten ging es erst, nachdem es das Vorliegen eines solchen ausschließen konnte.
Unter Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze des Beweisrechts stellte es zunächst klar, dass jeder Unfallbeteiligte die Umstände zu beweisen habe, die das Verschulden des anderen begründen sollen und aus denen er die für ihn günstigen Rechtsfolgen herleiten will.
Bei einem Auffahrunfall müsse daher der Auffahrende beweisen, dass der vorausfahrende Verkehrsteilnehmer entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO ohne zwingenden Grund stark abgebremst habe. Für den konkreten Sachverhalt folgt daraus, dass der Motorradfahrer die Behauptung der Autofahrerin, sie habe nur wegen eines auf der Fahrbahn stehenden Rehs stark abgebremst, beweissicher widerlegen musste.
Dazu hätte er beweisen müssen, dass das Reh – entgegen der Behauptung der Autofahrerin – tatsächlich nicht auf der Straße stand. Diesen Beweis konnte der Motorradfahrer jedoch nicht erbringen.
Im Ergebnis sah das Gericht bei beiden Unfallbeteiligten ein Mitverschulden. Dabei kam es zu einer 80%igen Haftung des Motorradfahrers, die es mit der Verletzung von § 3 und § 4 StVO als absolute Sorgfaltspflichten begründete. Die 20%ige Haftung der Autofahrerin begründete das Gericht mit der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs.
Das vorliegende Urteil bestätigt: Behauptet ein auffahrender Verkehrsteilnehmer, der Vorausfahrende habe entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO ohne zwingenden Grund stark abgebremst, so muss der Auffahrende dies grundsätzlich beweisen. Dies gilt auch dann, wenn der Vorausfahrende behauptet, „es sei ein Reh auf der Straße gewesen und er habe deshalb stark gebremst“.
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