Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) steht deshalb unter einer empfindlichen Strafe, weil es die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen des unschuldig Geschädigten erschwert oder unmöglich macht. Entsteht ein Schaden von bedeutendem Wert, droht die Entziehung der Fahrerlaubnis. Zudem darf der Haftpflichtversicherer Regress beim Unfallflüchtigen Regress nehmen, nachdem er die Ansprüche des Geschädigten ausgeglichen hat.
Der Unfallflüchtige muss bemerkt oder damit gerechnet haben, dass ein Unfall stattgefunden hat, bei dem er zumindest als Mitverursacher in Betracht kommt. Dies gilt selbst dann, wenn keine Berührung der Fahrzeuge stattgefunden hat.
Die Rechtsprechung sieht einen Unfall in jedem schädigenden Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängt. Entscheidend ist der straßenverkehrsspezifische Gefahrenzusammenhang. Dieser ist nur gegeben, wenn sich ein verkehrstypisches Risiko verwirklicht. Dies gilt übrigens nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern auch für Unfälle mit Radfahrern (AG München, Urt. v. 11.04.2022, Az. 941 Cs 442 Js 190826/21). Wann ein Verkehrsunfall vorliegt, beurteilen die Gerichte unterschiedlich.
Versicherungsrechtliche Konsequenzen
Ob und wie sich das unerlaubte Entfernen vom Unfallort auf die Leistungspflicht des Kaskoversicherers auswirkt, hängt in erster Linie von den jeweiligen Vertragsbedingungen, insbesondere von der Ausgestaltung der Schadenanzeigeobliegenheit ab.
Übrigens
Der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist nicht auf die Führer von Kraftfahrzeugen beschränkt. Da § 142 Abs. 1 StGB alle Unfallbeteiligten betrifft, können sich auch Fußgänger strafbar machen, wenn sie den Unfallort verlassen, bevor sie zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass sie an dem Unfall beteiligt sind, ermöglicht haben oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet haben, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen (hierzu: AG München, Urt. v. 11.04.2022, Az. 941 Cs 442 Js 190826/2).
Strafbar ist nur das Entfernen vom Unfallort selbst. d.h. von einem Ort, der einen unmittelbaren Bezug zur Unfallstelle aufweist. Wer sich nicht von dort, sondern von einem anderen, weiter entfernten Ort entfernt, verwirklich nicht den Tatbestand des § 412 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
So hat z.B. das LG Potsdam mit Urteil vom 24.05.2022, Az. 13 S 18/21 ausgeführt, dass ein Schädiger, der sich vom Unfallort entfernt, ohne die Polizei zu benachrichtigen, zwar gegen seine Aufklärungspflicht gemäß E 1.2 AKB verstoße. Da der Schädiger im konkreten Fall aber einen Zettel mit Kontaktdaten am Fahrzeug des Geschädigten angebracht habe, habe er jedoch alles Notwendige getan hat, „um das Interesse der Versicherung an einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Aufklärung des Unfallhergangs und seiner Folgen nicht zu beeinträchtigen,“ weshalb ein Regress nicht gerechtfertigt sei. Ein Verstoß gegen § 142 StGB und mangels entsprechender vertraglicher Vereinbarung einer Verletzung der Aufklärungspflicht scheidet daher immer dann aus, wenn ein Dritter weder am Unfall beteiligt noch dadurch geschädigt worden ist (Brandenburgisches OLG, Urt. v. 16.11.2006, Az. 12 U 72/06).
Für einen anderen Sachverhalt hat das LG Lübeck (Beschl. v. 07.09.2021, Az. 4 Qs 164/21) konstatiert, dass das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. In dem zu beurteilenden Sachverhalt hatte eine Autofahrerin bei einem Abbiegevorgang mit ihrem Anhänger einen gegenüber dem Einmündungsbereich geparkten Pkw gestreift und auf einer Länge von 190 cm starke Schrammen, Dellen und Schmutzrückstände hinterlassen und war weitergefahren. Den Unfall hatte sie – ihrer Aussage zufolge – nicht bemerkt. Nachdem sie sich ca. 260 Meter vom Unfallort entfernt hatte, wurde sie von einem Zeugen auf den Unfall hin angesprochen. Mit diesem kehrte sie zum Unfallort zurück und versprach sich um die Angelegenheit zu kümmern. Nach einer Wartezeit von zehn Minuten fuhr sie indes nach Hause, ohne weitere Maßnahmen veranlasst zu haben.
Der BGH hat Beschluss vom 15.11.2010, Az. 4 StR 413/10 festgestellt, dass “das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, … nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt (BGH, Beschluss vom 30. August 1978 – 4 StR 682/77, BGHSt 28, 129, 131). Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet aus, da das unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts nicht vom Wortlaut der Norm erfasst wird (BVerfG, NZV 2007, 368).”
Der Unfall muss in einem Bezug zum Straßenverkehr stehen!
Der erforderliche Bezug des Unfallhergangs im Verhältnis zum Straßenverkehr kann sich als Ansatzpunkt, zunächst regelmäßig, an einem erkennbaren äußeren Erscheinungsbild oder faktischer Funktionalität des unfallauslösenden Vorgangs in Bezug auf den Straßenverkehr festmachen. Wird der Schaden durch ein phobiebedingtes „panisches“ Öffnen einer Türe eines noch völlig bewegungslosen, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs verursacht liegt der Bezug zum Bild des Unfalls im Straßenverkehr fern, sofern das Fahrzeug sich weder in Bewegung noch zu diesem Zweck noch in Betrieb oder bereits gestartet war. (AG Calw Urt. v. 07.03.2024, Az. 8 Cs 33 Js 364/24, BeckRS 2024, 4145)
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Themenbezogene Rechtsprechung
Amtsgericht Dortmund, Beschl. v. 01.08.2022, Az. 729 Cs-266 Js 575/22-42/22
Bei einem freiwilligen Verzicht auf die Fahrerlaubnis ist eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO möglich.
Amtsgericht Kerpen, Urt. v. 05.04.2005, Az. 22 C 369/04
Nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich nicht strafbar, wer nach einem Unfall eine Unterredung über den Schadenausgleich barsch beendet, dann aber länger am Unfallort verbleibt, als der Unfallgegner. In diesen Fällen scheidet auch eine Strafbarkeit gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB, da keine Wartepflicht mehr besteht, wenn der feststellungsberechtigte Unfallgegner bereits die Unfallstelle verlassen hat.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.10.2007, Az. III-2 Ss 142/07 – 69/07 III
Das vorsatzlose Sich-Entfernen vom Unfallort begründet nicht die Pflichten gemäß § 142 Abs. 2 und 3 StGB. Den Straftatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht auch der Unfallbeteiligte, der den Unfall nicht bemerkt, deshalb seine Fahrt zunächst fortsetzt, aber noch innerhalb eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit dem Unfallgeschehen von diesem erfährt. Ein solcher räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht nicht mehr, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall innerorts fünf bis zehn Minuten weitergefahren ist und in dieser Zeit etwa drei Kilometer zurückgelegt hat, ehe er von dem Unfallgeschehen Kenntnis erlangt.
BGH, Beschl. v. 15.11.2010, Az. 4 StR 413/10
Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH, Beschl. v. 30.08.1978, Az. 4 StR 682/77). Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet aus, da das unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts nicht vom Wortlaut der Norm erfasst wird (BVerfG, Beschl. v. 19.03.2007, Az. 2 BvR 2273/06).
BGH, Urt. v. 21.11.2012, Az. IV ZR 97/11
Kommt der Versicherungsnehmer, der sich nach einem Verkehrsunfall erlaubt vom Unfallort entfernt hat, seiner Pflicht zur unverzüglichen Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nicht rechtzeitig nach, informiert er jedoch statt dessen seinen Versicherer zu einem Zeitpunkt, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 StGB noch hätte abwehren können, so begründet allein die unterlassene Erfüllung der Pflicht nach § 142 Abs. 2 StGB keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit (Fortführung des Urteils v. 1.12.1999, Az. IV ZR 71/99).