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Neues zur Erstattung der Desinfektionskosten!

Obgleich Corona im öffentlichen Bewusstsein vielfach in den Hintergrund getreten ist, belegen die aktuell ansteigenden Infektionsszahlen und Inzidenzwerte jedoch eindrucksvoll, dass weder die Pandemie überwunden noch die Notwendigkeit von Vorsichtsmaßnahmen entfallen ist. Wer angesichts der aktuellen Situation Urteile wie das des AG Dessau-Roßlau vom 16.02.2022, Az. 4 C 316/21 liest, demzufolge Desinfektionsmaßnahmen lediglich allgemeine, dem Arbeitsschutz zuzurechnende Kosten darstellen, die bereits in der übrigen Preisbildung enthalten sein sollen, kann nur mit dem Kopf schütteln.
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01.07.2022
ca. 4 Minuten
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Obgleich Corona im öffentlichen Bewusstsein aktuell vielfach in den Hintergrund getreten ist, belegen die ansteigenden Infektionszahlen und Inzidenzwerte jedoch eindrucksvoll, dass die Pandemie weder überwunden noch die Notwendigkeit von Vorsichtsmaßnahmen entfallen ist. Wer in dieser Situation Urteile liest, wie das des AG Dessau-Roßlau vom 16.02.2022, Az. 4 C 316/21, wonach Desinfektions-maßnahmen lediglich allgemeine, dem Arbeitsschutz zuzurechnende Kosten darstellen, die bereits in der übrigen Preisbildung enthalten sein sollen, kann sich nur verwundert die Augen reiben. Es mag ja zutreffen, dass Desinfektionskosten weder unmittelbar der Beseitigung von Unfallschäden dienen noch originär durch ein Unfallereignis verursacht worden sind – ohne die Corona-Pandemie wären sie dennoch nicht angefallen. Behauptungen wie „Eine Übertragung des Corona Virus durch kontaminierte Oberflächen ist zwar nicht auszuschließen, jedoch wenig wahrscheinlich.“ mögen zwar mit dem AG Aachen (Urt. v. 28.01.2021, Az. 110 C 161/20) übereinstimmen. Die qualifizierten Feststellungen der gemeinsamen Studie des Allianz Zentrums für Technik (AZT), des Zentralverbands Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) sowie der Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL e.V.), wonach einfaches Händewaschen eben nicht ausreicht, sprechen indes eine ganz andere Sprache.

Die Rechtsprechung ist (fast) einheitlich

Die Kosten coronabedingte Schutzmaßnahmen sind schon deshalb nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vollumfänglich erstattungsfähig, weil sie um erforderliche Wiederherstellungskosten sind. Dies „gilt sowohl für die Kosten betreffend die Desinfektion vor Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin, als auch für die Kosten vor Hereinnahme des Fahrzeugs in die Werkstatt“ (AG Hannover, Urt. v. 11.11.2021, Az. 528 C 5148/21).

Auch das AG Ludwigsburg hatte die Frage treffend auf den Punkt gebracht. Mit einem – dezidiert vom LG Stuttgart (Urteil v. 21.07.2021, Az. 13 S 25/21) abweichenden – Urteil vom 05.11.2021 (Az. 6 C 611/21) stufte es die Desinfektionskosten gerade nicht nur als “bei Gelegenheit der unfallbedingten Instandsetzungsarbeiten und auch nicht als eigenständige Leistung ohne unmittelbaren Zusammenhang zur technischen Durchführung der Reparatur“, sondern als „einen integralen Bestandteil der in Auftrag gegebenen Reparatur“ ein (so übrigens auch LG Coburg, Urt. v. 28.05.2021, Az. 32 S 7/21). Es wies ausdrücklich darauf hin, dass erst durch die Desinfektion „für die Mitarbeiter*innen im Hinblick auf die Gefahr von Schmierinfektionen mit Covid-19 eine sichere Reparatur gewährleistet und nach Abschluss der Reparaturarbeiten eine sichere Übernahme des Fahrzeugs durch den Geschädigten ermöglicht wird“ und dass ohne diese Schutzmaßnahmen in Zeiten der Corona-Pandemie keine ordnungsgemäße Werkleistung erbracht werden kann.

In diesem Sinne hat das AG Coburg Coronaschutzmaßnahmen in einem weiteren Urteil (Endurteil v. 28.06.2022, Az. 12 C 259/22) grundsätzlich als erforderlich eingestuft, “da auch der Kunde bei Erstattung eines Gutachtens, welches mit Kontakt am eigenen Fahrzeug verbunden ist, erwarten darf, dass Kontaktflächen gereinigt und desinfiziert werden, um einer Ansteckung mit dem Coronavirus vorzubeugen.” Auch das AG Braunschweig (Urt. v. 24.02.2022, Az. 114 C 1550/21) und das AG Lünen (Urt. v. 06.12.2021, 7 C 130/21) betrachten die Desinfektionskosten nicht als eine unfallfremde Position, eine gesamtgesellschaftliche Anforderung oder eine reine Arbeitsschutzmaßnahme, deren Kosten vom Werkstattinhaber zu tragen wären. Den “anders als bei üblichen betrieblichen Arbeitsschutzmaßnahmen (steht) ein Schutz vor dem Virus in Rede, der die Gesundheit der Mitarbeiter, aber eben auch der Geschädigten gefährden kann, wenn Werkstätten aus Kosten gründen auf die Desinfektion verzichten” (AG Lünen, a.a.O.).

Kurzum, die genannten Urteile legen gut nachvollziehbar dar, weshalb die Desinfektionskosten eine adäquat-kausale Folge des Verkehrsunfalls sind, der diese überhaupt erst erforderlich gemacht hat. Auch das AG Krefeld hat einen realitätsnahen Blick bewiesen, als es „angesichts der aktuellen Pandemielage und der Notwendigkeit zur Vermeidung von Ansteckungsgefahren besondere Desinfektionsmaßnahmen zu ergreifen“ den Ersatz der angefallenen Desinfektionskosten zusprach. Das AG Eutin (Urt. v. 23.05.2022, Az. 25 C 515/21) konnte wiederum nicht nachvollziehen, warum ein Geschädigter „dessen Fahrzeug unverschuldet zur Zeit der Corona Pandemie beschädigt worden ist, schlechter gestellt werden soll als derjenige, dessen Fahrzeug vor diesem Zeitpunkt beschädigt worden ist.“

Das Werkstattrisiko trägt der Schädiger!

Hinzu kommt, dass ein Schädiger die Desinfektionskosten im Zweifel auch unter dem Aspekt des Werkstattrisikos zu ersetzen hat. So hat sich z.B. auch das AG Hamburg-Altona (Urt. v. 30.07.2021, Az. 314b C 112/21) gegen das LG Stuttgart (a.a.O.) gestellt und – unter Hinweis auf vergleichbare epidemische Lage und mit ausführlicher Begründung – keinen Grund dafür gesehen, die Desinfektionskosten nicht dem Werkstattrisiko zuzuschlagen. Abschließend – und mit einem Augenzwinkern – sei noch auf einen Beschluss des AG Coburg vom 16.03.2022, Az. 15 C 400/22 hingewiesen. In dem Prozess ging es um die Verweigerung der Erstattung der Desinfektionskosten durch einen ortsansässigen Versicherer. Am Ende fasste der Richter die Prinzipien des Werkstattrisikos in bemerkenswerter Weise zusammen und äußerte sich deutlich zur Schadenpraxis der Versicherungswirtschaft. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: “So hat alleine das Amtsgericht Coburg in den letzten Jahren zur identischen Streitproblematik tausendfach (!) in Verfahren gegen die Beklagte entschieden, dass das Werkstattrisiko, wenn also die Werkstatt falsch, zu lange oder zu teuer repariert, nicht zu Lasten des Geschädigten und Auftraggebers geht, sondern dem Schädiger und damit der eintrittspflichtigen Versicherung zum Nachteil gereicht. Bereits 2018 hat der erkennende Spruchrichter in einem viel zitierten Urteil hierzu geschrieben, dass der Beklagten offenbar allgemeine Schadensersatzgrundsätze unbekannt sind oder aber bewusst zum Nachteil des Geschädigten ignoriert werden”.

Fazit

Wenn Versicherer die Erstattung der Infektionskosten verweigern, sollte schon deshalb nicht klein beigegeben werden, weil die Corona-Pandemie aktuell wieder an Fahrt gewinnt und das Infektionsrisiko steigt. Die Gegenargumente sind eindeutig!

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Stichwort: Desinfektionskosten
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Bildnachweis: Squirrel_photos / Pixabay
 

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