Die Betriebsgefahr beschreibt die sogenannte Gefährdungshaftung. Diese „ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird.“ (BGH Urt. v. 26.02.2013, Az. VI ZR 116/12) und besteht verschuldensunabhängig für diejenigen Gefahren, die vom Betrieb eines Kraftfahrzeug ausgehen. Begründet wird die Gefährdungshaftung damit, dass die Inbetriebnahme von Fahrzeugen mit einem besonderen Gefährdungspotential verbunden ist. Sie greift daher selbst bei parkenden Fahrzeugen (z.B. LG Lübeck, Urt. v. 02.11.23, Az. 14 S 113/22).
Zum Streit kommt es immer wieder dann, wenn der Schaden nicht auf den „klassischen Betrieb“, d.h. im Rahmen eines Fahrvorgangs, sondern auf einen Einsatz des Fahrzeugs als Arbeitsmaschine zurückzuführen ist.
Beispielhaft seien Schäden durch Müllfahrzeuge beim Entleeren von Sammelbehältern oder Schäden infolge eines Ölaustritts beim Befüllen von Heizöltanks genannt. Der Vorgang des Entleerens und Fortschaffens von Müllbehältern wird hier ebenso zum Betrieb des Fahrzeugs gezählt (OLG Celle, Urt. v. 15.02.2023, Az. 14 U 111/22), wie das Entladen von Öl aus einem Tankfahrzeug (BGH. Urt. v. 08.12.2015, Az. VI ZR 139/15).
Allerdings ist die Reichweite der Haftung aus Betriebsgefahr nicht unendlich. So hat z.B. der BGH den Schadenersatzanspruch einer Person verneint, die durch einen hochgeschleuderten Stein am rechten Auge getroffen und schwer verletzt worden war. Der Schaden war entstanden, als sich die Person während Mäharbeiten am Rande einer Weide aufgehalten hatte (Urt. v. 21.09.2021, Az. VI ZR 726/20).
Entscheidend für die Ablehnung war, dass “der Einsatz des Traktors als Arbeitsmaschine zur Bestellung des landwirtschaftlichen Grundstücks derart prägend im Vordergrund gestanden habe, dass der Schadensablauf nicht dem Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG zuzuordnen sei.”
Entscheidend ist, dass das verwirklichte Risiko aus der Sphäre des Fahrzeugs stammt. Ist dies nicht gegeben, kommt eine Haftung Betriebsgefahr selbst dann nicht in Betracht, wenn das Fahrzeug mit seinen Einrichtungen zeitgleich mit der Entstehung des Schadens im Einsatz war und es ohne diesen Einsatz gar nicht zum Schaden gekommen wäre.
Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen.
Kommt es beim Befüllen eines Tanks zu einem Schaden durch überlaufendes Öl, weil die Sensorik des Fahrzeugs defekt ist, haftet das Fahrzeug.
Ist jedoch die Füllstandsanzeige an dem befüllten Tank defekt, verwirklicht sich ein eigenständiger Gefahrenkreis aus der Risikosphäre des Tankbetreibers. Der Schadenseintritt ist dann weder auf ein Verschulden des Tanklastwagenfahrers noch auf einen Defekt des Tanklastwagens oder seiner Einrichtungen zurückzuführen. Ansprüche bestehen daher weder gegenüber dem Fahrzeughalter noch dessen Versicherer (OLG Celle, Urt. v. 15.11.2023, Az. 14 U 56/23).
Defekte an kleinen Bauteilen können große Schäden nach sich ziehen. Nicht anders ist es bei einer Schadenersatzklage, wenn Details über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Erfolgreiche Schadenersatzprozesse kann daher auch nur führen, wer die entscheidenden Details kennt. Sollten sie einen Schadenersatzanspruch geltend machen wollen, sprechen Sie mit uns! Voigt regelt!
Gibt es Konstellationen bei denen die Betriebsgefahr keine Rolle spielt?
Überwiegt bei einem Unfall das Verschulden des Schädigers massiv, insbesondere weil er sich grob verkehrswidrig verhält, wird die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten vermindert oder tritt völlig zurück (vgl. z.B. OLG München, Endurteil v. 24.03.2021, Az. 10 U 6761/19).
Bei einem Auffahrunfall kann die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Auffahrenden – bei einem besonders gefährlichen Fahrmanöver des Vorausfahrenden – vollständig hinter dessen Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen sowie die Betriebsgefahr des eigenen Fahrzeugs zurücktreten (z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 07.01.2021, Az. 7 U 53/20).
Einem Urteil des OLG Celle vom 28.04.2022 (Az. 5 U 23/21) zufolge, tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs hinter das Eigenverschulden des Eigentümers einer Werkstatt zurück, wenn es zu einem Brand gekommen ist, weil er bei einem abgestellten Unfallfahrzeug die Batterie nicht abgeklemmt hat.
Was gilt bei Einflüssen von außen?
Die Haftung aus Betriebsgefahr verwirklicht sich auch dann, wenn einzig eine von außen wirkende Kraft den Schaden im ruhenden Verkehr bewirkt hat. Die Beeinflussung von Fahrzeugen (insbesondere mit höheren Aufbauten) z.B. durch Wind stellt grundsätzlich auch eine typische Gefahrenquelle des Straßenverkehrs dar, die bei wertender Betrachtung vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung miterfasst wird (vgl. BGH v. 11.02.2020 – VI ZR 286/19).
Ist ein auf einen Transportzug verladenes Auto in Betrieb?
Nach einem Urteil des OLG Schleswig (Az. 7 U 48/24 v. 31.07.2024) kann ein auf einem Autozug verladenes Fahrzeug auch dann “in Betrieb” sein, wenn der Fahrer zum Zeitpunkt der Schadensverursachung hinter dem Lenkrad sitzt, weder die Feststellbremse betätigt noch ein Gang eingelegt ist und das Fahrzeug beim Anfahren und Anhalten des Zuges gegen ein davor stehendes Fahrzeug prallt.
Wörtlich heißt es in dem Urteil: “Der Kollisionsgefahr der verladenen Fahrzeuge sollte neben dem Angurten auch durch das Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Ganges entgegengewirkt werden. Gerade deshalb seien die Kraftfahrer unstreitig durch eine entsprechende Durchsage der DB und nach den glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Klägerin auch durch entsprechende Hinweisschilder zu diesen Sicherungsmaßnahmen aufgefordert worden.”