Urteil des Amtsgerichts München vom 18.10.2024, Az. 338 C 15281/24
Vor fast genau einem Jahr berichteten wir an dieser Stelle (Wer haftet bei Stürzen in Linienbussen?) über ein Urteil des OLG Schleswig, in dem es um die Frage ging, ob und in welchem Umfang der Halter eines Linienbusses für Verletzungen von Fahrgästen haftet, die bei einer Bremsung des Busses zu Fall kommen (Az. 7 U 125/22). Die Besonderheit des zu beurteilenden Sachverhalts lag darin, dass der Busfahrer eine Vollbremsung durchführen musste, um einen Zusammenstoß mit einer – erst im letzten Moment wahrgenommenen – Fußgängerin zu vermeiden.
Ähnlich verhielt es sich in einem kürzlich vom Amtsgericht München entschiedenen Fall.
Als der zum Unfallzeitpunkt 76-jährige Kläger als Fahrgast im Busanhänger eines Busses der Linie 53 auf der Rechtsabbiegespur auf eine rote Ampel zufuhr, wechselte unmittelbar vor ihm ein Pkw auf dieselbe Abbiegespur, weshalb der Busfahrer eine Vollbremsung einleitete.
Der Kläger behauptete, er sei gestürzt und habe Prellungen im Bereich der Brustwirbelsäule und des Beckens sowie eine Überdehnung des Daumensattelgelenks erlitten. Er habe vier Wochen unter Schmerzen gelitten und sei bis heute nicht beschwerdefrei. Vor dem Amtsgericht München verklagte er den Fahrer des überholenden Pkw sowie dessen Versicherung auf Zahlung von 2.000 € Schmerzensgeld und vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Das Gericht ging zwar davon aus, dass die Fahrweise des beklagten PKW-Fahrers den Sturz des Klägers mitverursacht habe und dass die Straßenverkehrsordnung ihm beim Spurwechsel ein Höchstmaß an Sorgfaltspflichten auferlege, gegen die er verstoßen habe. Eine Haftung des Pkw-Fahrers scheide jedoch wegen des vollen Mitverschuldens des Klägers aus.
Das Gericht führte hierzu aus: „Jeder Fahrgast ist verpflichtet, sich im Fahrzeug stets festen Halt zu verschaffen, vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft. Die Vorschrift dient dem Schutz der Fahrgäste. Sie soll insbesondere verhindern, dass diese bei einer Vollbremsung zu Fall kommen und sich verletzen […]. Die vom Kläger eingenommene Stehposition war nicht geeignet, bei einer Bremsung gesichert zu sein.
Vorliegend zeigt das […] Video der Businnenkamera, dass sich der Kläger lediglich mit der linken Hand am Handlauf festhielt und seine rechte Hand auf dem mitgeführten Einkaufstrolley ruhte. […] Die Stabilisierung mit der linken Hand ist zu schwach, um ruckartiges Bremsen auszugleichen. Der Trolley bietet keinen Halt, da er selbst bei einer Vollbremsung, wie auf dem Video zu sehen, herumgewirbelt wird. Der Trolley stellte vielmehr ein Hindernis dar, da der Kläger ihn auch während des Sturzes nicht losließ und somit auch mit der rechten Hand keinen festen Halt suchte.
Dies zeigt sich auch daran, dass andere Fahrgäste, soweit auf den eingesehenen Videos der Innenkamera des Busses erkennbar, bei der Vollbremsung nicht gestürzt sind. Vielmehr hielt sich beispielsweise die ältere Dame, die einen der Sitzplätze unmittelbar hinter dem Kläger eingenommen hatte, an der dort befindlichen Haltestange fest und rutschte (anders als ihre Tasche) nicht von ihrem Sitz.
Dem Kläger ist daher – auch aufgrund seines Alters und des Mitführens des Trolleys – vorzuwerfen, dass er sich nicht hingesetzt hat. Wie auf dem Video zu sehen ist, waren ausreichend Sitzplätze vorhanden, auch wenn der Kläger das Gegenteil behauptet. So war z.B. direkt hinter dem Beschwerdeführer ein Sitzplatz frei, der zudem eine Haltestange zum Festhalten geboten hätte. […]
Es handelt sich auch nicht um eine völlig überraschende – wenn auch heftige – Vollbremsung, da im Stadtverkehr regelmäßig mit heftigen Bremsmanövern gerechnet werden muss. Hinzu kommt, dass der Bus unstreitig bereits ca. 50 m vorher leicht gebremst hatte, so dass der Kläger hätte erkennen können, dass seine Position keinen ausreichenden Halt bot.“
Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sollte auf ausreichenden Halt achten und sich im Zweifel mit beiden Händen festhalten. Wer dies unterlässt und z.B. im Zweifelsfall noch Gegenstände (hier einen Trolley) mit sich führt und sich bei einer Notbremsung daran festhält, anstatt selbst festen Halt zu suchen, setzt im Falle eines Unfalls seinen Schadensersatzanspruch aufs Spiel.