Kann der Haftpflichtversicherer des Schädigers nachweisen, dass es sich um einen gestellten, d.h. mit Einwilligung des Geschädigten herbeigeführten Unfall handelt, ist er von der Verpflichtung zur Leistung frei.
Die Grundsätze, die bei der Beantwortung der Frage, ob ein vorgetäuschter, d.h. manipulierter Unfall vorliegt, zu beachten sind, hat u.a. das Landgericht Stuttgart in den verallgemeinerungsfähigen Orientierungssätzen des Urteils vom 19.08.2024, Az. 24 O 41/14, sinngemäß zusammengefasst wie folgt:
Weist der Geschädigte nach, dass sich der Unfall tatsächlich so zugetragen hat, wie er es behauptet, muss der Versicherer, wenn er einwendet, es handele sich um einen gestellten Unfall, beweisen, dass sich der Unfall mit Einwilligung des Geschädigten ereignet hat. Eine absolute Gewissheit ist dabei nicht erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig zum Schweigen zu bringen.
Bereits das OLG Köln hatte in einem Urteil vom 06.08.204, Az. 7 O 301/13, unter Verweis auf die ständiger Rechtsprechung erläutert, dass es es zum Nachweis einer Kollisionsabsprache keiner lückenlosen Gewissheit im Sinne einer mathematischen Beweisführung bedarf.
Vielmehr genügt die Feststellung von Indizien, die in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss eines kollusiven Zusammenwirkens zulassen (OLG Köln, Urt. v. 12.04.2013, Az. 19 U 96/12; OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.10.2005, Az. 12 U 1114/04 m.w.N.; LG Krefeld, Urteil vom 25.09.2008, Az. 3 O 101/08). Bei einer Häufung von Anzeichen, die auf eine Manipulation hindeuten, kann ein Anscheinsbeweis für einen sog. „gestellten Verkehrsunfall“ vorliegen (OLG Köln a.a.O., m.w.N.). Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller unstreitigen und bewiesenen Tatsachen, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann.
Dem BGH zufolge (Urt. v. 01.10.2019, Az. VI ZR 164/18 ) liegt in dieser Aufforderung zur lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation indes keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung. Irrig wäre daher die Annahme, der Tatrichter dürfe sich in Fällen dieser Art mit einer bloßen, wenn auch erheblichen Wahrscheinlichkeit begnügen.
Dies ändert aber nichts daran, dass es für den Anscheinsbeweis genügt, wenn die für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen einen so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit aufweisen, dass – auch wenn Zweifel mathematisch nicht völlig ausgeschlossen werden können – diese Zweifel zu vernachlässigen sind.
Indizien für einen manipulierten Unfall
Folgende Anhaltspunkte können für einen manipulierten Unfall sprechen:
– Der Unfall hat sich abends oder nachts ereignet.
– Der Unfall hat auf einem Parkplatz / in einem Industriegebiet in einem kontrollierbaren Geschwindigkeitsbereich stattgefunden.
Der Unfall hat sich in den Abend- oder Nachtstunden ereignet. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit, dass unbeteiligte Dritte den Unfall wahrnehmen. Das vermeintliche Unfallgeschehen war zudem leicht zu rekonstruieren und zu beherrschen und barg weder für die Insassen noch für Außenstehende ein erhebliches Verletzungsrisiko. Denn bei einem Parkplatzunfall bewegen sich beide Fahrzeuge typischerweise in einem beherrschbaren Geschwindigkeitsbereich.
-Der Schädiger hat einen groben Verkehrsverstoß begangen, der zu seiner vollen Haftung führt.
-Vorschäden werden (zumindest zunächst) verschwiegen.
Häufiges Merkmal eines gestellten Unfalls ist ferner, dass – wie hier – der Gegner einen groben Verkehrsverstoß begangen haben, soll der regelmäßig zu seiner vollen Haftung führt. So liegt es hier, da Herrn S. ein Verstoß gegen das Rückschaupflicht beim Rückwärtsfahren (§ 10 StVO) vorgeworfen wird, der in vielen Fällen dazu führt, dass dem Rückwärtsfahrenden die alleinige oder zumindest überwiegende Schuld an dem Unfall zugewiesen wird. Der Auffahrunfall ist somit mit einer eindeutigen Schuldzuweisung verbunden, weshalb eine Anspruchsminderung durch den Einwand des Mitverschuldens und der mitwirkenden Betriebsgefahr durch den Haftpflichtversicherer nicht zu erwarten ist.
Werden Vorschäden zunächst verschwiegen und auch im Sachverständigengutachten nicht erwähnt, sondern dort ausdrücklich ausgeführt, dass das Fahrzeug „keine“ Vorschäden gehabt haben soll, legt dies den Schluss nahe, dass diese dem Sachverständigen verschwiegen wurden.
Da die Frage nach Vorschäden (auch reparierten) für die Bemessung des Wiederbeschaffungswertes relevant ist, verschafft deren Nichtberücksichtigung, also deren Verschweigen, dem vermeintlich oder tatsächlich Geschädigten einen Vorteil.
-Es handelt sich um einen besonders lukrativen Schaden an einem Fahrzeug der Oberklasse
Das Fahrzeug des Geschädigten ist regelmäßig zwar nicht mehr um das „Neueste“, aber jedenfalls ein Fahrzeug der Oberklasse, das sich für einen fingierten Unfall besonders gut eignet, weil regelmäßig ein hoher Gutachter-Schaden einem geringen tatsächlichen Reparaturaufwand gegenübersteht (vgl. LG Hagen, Urt. v. 17.07.2012, Az. 6 O 192/11).
-und der Unfallschaden wird fiktiv abgerechnet .
Die fiktive Abrechnung allein ist weder Indiz für einen gestellten Unfall noch ein sonstiges kriminelles Handeln des Geschädigten. Sie wird aber – wegen des fehlenden Reparaturnachweises – gerne bei gestellten Unfällen und kriminellen Machenschaften genutzt.
Weitere Indizien sind möglich!
Als Beispiel sei genannt, dass der angeblich Geschädigte das Fahrzeug kurz nach dem Unfall verkauft hat, so dass eine Besichtigung des Fahrzeugs nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeugs nicht als Zeuge benannt wird und – was seine Ergreifung erschwert – im Ausland wohnhaft sein soll. Schließlich kann auch die Schadensverursachung mit einem Mietfahrzeug als Indiz gewertet werden.
Mietfahrzeuge werden deshalb besonders häufig für Unfallmanipulationen eingesetzt, weil bei ihrer Verwendung weder eigene Vermögenswerte gefährdet werden noch eine Höherstufung im Schadensfreiheitsrabatt zu befürchten ist (vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.072.10, Az. 2 U 32/10).
Das LG Berlin hat in seinen Urteilen vom 24.10.2019, Az. 1 U 244/18 sowie vom 04.10.2023, Az. 46 O 312/21 auf zehn Punkte hingewiesen, die für einen manipulierten Unfall sprechen können:
1. Der Anspruchsteller sieht von der Durchführung der vollständigen Reparatur in einer Fachwerkstatt nach den Vorgaben des Schadensgutachtens ab und wählt die fiktive Abrechnung des Schadens. Nur auf diese Weise ist ein erheblicher Gewinn zu realisieren.
2. Die Verwendung weitgehend „verbrauchter“ Fahrzeuge mit einer hohen Laufleistung ist bei manipulierten Verkehrsunfällen typisch, da sich der eigene Schaden des Schädigers dann in Grenzen hält.
3. Der Einsatz eines vollkaskoversicherten Fahrzeugs durch den vermeintlichen Unfallverursacher bei einer Unfallmanipulation durchaus gängig.
4. Es kann von Bedeutung sein, wenn der angeblich geschädigte Kläger im Kfz-Gewerbe tätig ist. Denn an vielen Unfallmanipulationen sind Personen aus der Kfz-Branche oder mit Beziehungen zu dieser beteiligt.
5. Schlechte Vermögensverhältnisse des vermeintlichen Unfallverursachers können ein Indiz für eine Manipulation sein.
6. Das Fahren auf ein geparktes Fahrzeug ist eine klassische Konstellation der Unfallmanipulation, da sie eine – vermeintlich – eindeutige Haftungslage gewährleistet und leicht zu stellen ist.
7. Für eine Unfallmanipulation ist zudem typisch, dass der den Unfall verursachende vermeintliche Fahrfehler ungewöhnlich und die Unfallsituation objektiv nicht zu überprüfen ist.
8. War der vermeintlich Geschädigte eines Verkehrsunfalls außerdem schon zuvor innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes in eine Vielzahl von Verkehrsunfällen verwickelt, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei dem aktuellen Ereignis um einen verabredeten Verkehrsunfall gehandelt hat.
9. Die fehlende Bereitschaft der Unfallverursachers vorprozessual bei der Aufklärung des Unfallgeschehens mitzuwirken kann auf eine Unfallmanipulation hindeuten.
10. Das Nichterscheinen des Unfallverursachers vor Gericht trotz wiederholter Aufforderungen kann als Indiz für das kollusive Zusammenwirken mit dem Geschädigten gewertet werden.