Mitverschulden oder Mithaftung bezeichnet „das Verschulden des Beschädigten“ bei der Entstehung des Schadens (§ 254 BGB). Das Mitverschulden führt, sofern es nicht zu vernachlässigen ist, vom teilweisen bis hin zum vollständigen Verlust des Ersatzanspruchs.
Bei einem Unfall mit mehreren Kraftfahrzeugen hängt die Haftung der Fahrzeughalter untereinander grundsätzlich von den Umständen des Geschehens ab. Insbesondere ist zu berücksichtigen, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil vorwiegend verursacht wurde. (OLG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2025, Az. 6 U 73/24).
Das heißt, die Schadensverteilung richtet sich auch nach dem Gewicht einer etwaigen Schuld der jeweiligen Beteiligten. Ausschlaggebend für das Maß der Verursachung ist somit stets, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, einen solchen Schaden herbeizuführen. Im Rahmen dieser Abwägung können jedoch nur solche unfallursächlichen Tatsachen zu Lasten einer Partei berücksichtigt werden, auf die sich diese Partei beruft oder die anderweitig feststehen bzw. unstreitig oder erwiesen sind. (z.B. BGH, Urt. v. 20.02.2013, Az. VIII ZR 339/11).
Was die Haftung und die Ansprüche Unfallbeteiligter angeht, heißt es in einem Urteil des LG Saarbrücken vom 11.02.2022, Az. 13 S 135/21: „Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Ersatzverpflichtung damit davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, 2 StVG). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – VI ZR 179/15 …).“
Für das AG Essen (Urt. v. 30.11.2022, Az. 22 C 172/22) hängen “die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang … nach § 17 Abs. 1, 2 StVG von den Umständen des Einzelfalles ab, und zwar davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist auf Grund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, allerdings nur, soweit sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben (st. Rspr., vgl. OLG Hamm, Urt. v. 11.09.2012, Az. I-9 U 32/12). Dabei kommt es auf das Maß dessen an, inwiefern die Beteiligten durch ein Fehlverhalten zur Schadensentstehung beigetragen haben, sowie das beiderseitige Verschulden.”
Darüber hinaus gehend hat das OLG Frankfurt (Urt. v. 05.12.2024, Az. 15 U 104/22) den Begriff des Mitverschuldens folgendermaßen konkretisiert:
Maßgeblich ist in erster Linie das Maß der Verursachung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Das beiderseitige Verschulden ist für das Gericht dabei allerdings nur ein Faktor der Abwägung.
Entscheidend für die Haftungsverteilung ist demnach, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (vgl. BGH, Urt. v. 04.11.2008, Az. VI ZR 171/07; BGH, Urt. v. 20.01.1998, Az. VI ZR 59/97, m. w. N.).
Unter dem Begriff des Mitverschuldens ist dabei nicht nur die vorwerfbare Verletzung einer Dritten gegenüber bestehenden Rechtspflicht zu verstehen, sondern auch die Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Liegt in einer solchen Vernachlässigung der eigenen Schutzinteressen zugleich ein Verstoß gegen eine gegenüber Dritten bestehende Rechtspflicht, so verstärkt dies regelmäßig den Vorwurf gegenüber dem Geschädigten (vgl. (BGH, Urt. v. 20.01.1998, Az. VI ZR 59/97).
Ein Mitverschulden kann auch daraus resultieren, dass ein Verkehrsteilnehmer die Gefahrensituation hätte voraussehen können und nicht unfallvermeidend reagiert hat. So muss beispielsweise ein Radfahrer seine Geschwindigkeit den Straßen- und Wetterverhältnissen anpassen und darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb einer überschaubaren Strecke anhalten kann (LG Bochum, Urt. v. 21.01.2025, Az. I-11 S 72/24).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 28.09.1976, Az. VI ZR 219/74; Urt. v. 02.12.1980, Az. VI ZR 265/78; Urt. v. 17.10.2000, Az. VI ZR 313/99), … dass auch der Verkehrsteilnehmer, der bei einem Unfall oder einer Panne Hilfe leistet, nicht schon deshalb von der Pflicht befreit ist, um seinen eigenen Schutz bemüht zu bleiben.
Auch er muss sich im eigenen Interesse (§§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB) umsichtig verhalten und das Risiko, infolge seiner Hilfeleistung selbst verletzt zu werden, möglichst ausschalten. Wie dargelegt darf auch die Wahrnehmung der Sonderrechte aus § 35 StVO jeweils nur unter größtmöglicher Sorgfalt erfolgen.
Typische Fälle des Mitverschuldens
Kein Mitverschulden
Fehlende gesetzliche Pflicht und kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung. (LG Hamburg, Urt. v. 12.07.2024 – 306 O 387/23; OLG Celle, Urt. v. – 13.03.2024 14 U 122/23).
Zurücktreten des Mitverschuldens des Verletzten, weil der Schädiger die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mehr als 100% überschritten und sich mit 1,7 Promille weit über der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit befunden hatte. Mit dieser objektiv gefährlichen Fahrweise hatte der Schädiger eine ungewöhnlich hohe Gefahr für schwerwiegende Unfälle begründet. “In der von ihm geschaffenen Situation hat sich diese Gefahr verwirklicht, in der sich der Gurtverstoß des Geschädigten – hier unterstellt – schadensbegründend (mit) ausgewirkt hat. Sein überaus gefährliches Verhalten hat das Risiko für den Eintritt eines schweren Unfalls und in der Folge auch für die Rückenverletzungen der Geschädigten erst maßgeblich begründet. Demgegenüber tritt der objektive Verursachungsbeitrag des Geschädigten, der in einem bloßen Unterlassen der Erfüllung der Anschnallpflicht lag, vollständig zurück (OLG Köln, Urt. v. 27.08.2024, Az. 3 U 81/23).
Zeitungsausträger tritt aus Ärger gegen die Tür. „Der PKW-Fahrer habe sich zwar ordnungswidrig verhalten und bei dem Parken auf dem Gehweg gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen, der Schaden sei jedoch durch die vorsätzliche Sachbeschädigung des beklagten Zeitungsausträgers entstanden und nicht etwa bei dem Versuch, an der Engstelle vorbeizukommen. Daher treffe den PKW-Fahrer kein Mitverschulden an dem Schaden“ (AG München, Urt. v. 18.05.2015, Az. 122 C 2495/15).
Autofahrer hatte die Radmuttern nach einem Reifenwechsel nicht nochmals auf festen Sitz kontrolliert.(OLG München, Urt. v. 19.05.2021, Az. 7 U 2338/20; s.a. Wenn sich das Rad selbständig macht).