Wenn ein Fahrzeug bei einem Unfall stark beschädigt wird, muss es oftmals abgeschleppt werden. Doch wer haftet für den weiteren Schaden, wenn es dabei zu einem zweiten Unfall kommt? Mit dieser Frage musste sich das Landgericht (LG) Stuttgart in seinem Urteil vom 29.03.2018, Az.: 16 O 461/17 befassen.
Was war passiert?
Im Juli 2017 kam es auf der A81 bei Stuttgart zu einem Verkehrsunfall, bei dem ein PKW Porsche beschädigt wurde. Der Geschädigte beauftragte ein Abschleppunternehmen mit dem Transport von der Unfallstelle.
Das Verschulden des Unfallgegners am Unfall war unstreitig. Dennoch regulierte der Versicherer des Unfallgegners von den geltend gemachten Reparaturkosten in Höhe von ca. 42.650 Euro lediglich einen Teilbetrag in Höhe von ca. 24.050 Euro.
Als Begründung gab der Versicherer an, dass nur die Schäden reguliert wurden, die dem Unfall zuzurechnen seien. Die nicht regulierten Schadenspositionen habe der vom Geschädigten beauftragte Abschleppunternehmer verursacht. Damit waren diese Schäden aus Sicht des Versicherers nicht unfallbedingt und daher auch nicht zu erstatten.
Der Geschädigte wollte sich damit nicht zufrieden geben und zog vor Gericht.
Die Entscheidung des Gerichts
Das angerufene LG Stuttgart sah die Angelegenheit etwas anders als der Versicherer und sprach dem Geschädigten den Anspruch in vollem Umfang zu. Das Gericht sah in dem Abschleppvorgang gerade keine Unterbrechung.
Dazu führte es mit deutlichen Worten aus: Schäden durch Hilfspersonen, denen sich der Geschädigte zur Schadensbeseitigung bedient, sind regelmäßig dem Schädiger zuzurechnen, wie etwa Werkstatthelfer, Prognoserisiko oder Behandlungsfehler (
). Dem Schädiger werden auch Fehler der Personen zugerechnet, die der Geschädigte zur Abwicklung oder Beseitigung des Schadens hinzuzieht. Eine Zäsur durch das Hinzutreten des Abschleppunternehmens ist dabei nicht anzunehmen, weil der Abschleppvorgang als solcher in einem unmittelbaren und inneren Zusammenhang mit dem Unfallereignis selbst steht.
Mit anderen Worten: Ohne den Unfall, wäre kein Schaden da; ohne den Schaden hätte das Fahrzeug nicht abgeschleppt werden müssen, um es anschließend in eine Werkstatt zu verbringen und den Schaden zu beheben. Und auch wenn der Geschädigte den Abschleppunternehmer hinzugezogen hat, erfolgte das zur Abwicklung und Beseitigung des Schadens.
Fahrzeugverbringung unterbricht Haftung nicht
Erst im Gerichtsverfahren brachte der Versicherer ein, dass er nicht das Abschleppen unmittelbar nach dem Unfall meinte, sondern dass das Fahrzeug bei einer weiteren Verbringung im Rahmen der Reparatur beschädigt wurde.
Das Gericht fand auch dafür klare Worte und machte deutlich: Dies gilt auch für Verbringungen des Fahrzeugs, welche stattfinden, wenn nach dem eigentlichen Abschleppvorgang von der Unfallstelle, im Rahmen durchzuführender Begutachtungen und Reparaturen weitere (Spezial-)Werkstätten aufgesucht werden müssen. Auch dadurch wird der unfallkausale Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen.
Wird also das Fahrzeug im Rahmen der Reparatur (die ohne den Unfall nicht erforderlich gewesen wäre) beispielsweise zu einem Lackierer verbracht, weil die Werkstatt über keine eigene Lackiererei verfügt, gehört das ebenfalls zum Risiko des Schädigers. Und folglich ist ein etwaiger Schaden vom Versicherer des Unfallgegners zu erstatten.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Mit diesem Urteil stellt das LG Stuttgart klar, dass sich ein Geschädigter direkt an den Unfallgegner und seinen Versicherer halten kann – um den vollen Schaden ersetzt zu bekommen. Er muss damit nicht erst klein-klein aufschlüsseln, wer welchen Schaden verursacht hat und sich dann an alle nur mit den jeweiligen Positionen wenden. Im Unfallgegner hat er einen klaren Ansprechpartner, der für die Folgen eine Ursache gesetzt hat.
Was im Urteil nicht erwähnt wird: Der Unfallgegner und sein Versicherer sind natürlich nicht völlig schutzlos. Wenn von den weiteren Beteiligten weitere Schäden verursacht wurden, für die sie haftbar sind, kann sich der Versicherer des Unfallgegners an die jeweiligen Haftpflichtversicherer halten und diese in Regress nehmen.
Mit diesem Fall wird einmal mehr deutlich, dass auch scheinbar eindeutige Fälle mit klarer Haftungslage es durchaus in sich haben können. Daher ist die frühzeitige Einschaltung eines Rechtsbeistandes wichtig, um nicht in Fallstricke zu geraten und am Ende des Tages auf dem Schaden sitzen zu bleiben, weil die anderen Beteiligten sich möglicherweise den schwarzen Peter zuschieben. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL-Kanzlei Voigt stehen Ihnen gerne helfend zur Seite, damit Sie nicht auf bestehende Ansprüche verzichten müssen.
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