OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2024, Az. I-7 U 57/24, 7 U 57/24
Anhand der Spuren auf der Fahrbahn, an den beteiligten PKW sowie am Lkw konnte der Unfallhergang eindeutig rekonstruiert werden. Danach war der überholende Pkw zunächst mit seiner linken vorderen Fahrzeugfront mit dem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert. Danach hatte er sich gegen den Uhrzeigersinn gedreht, war mit dem rechten hinteren Seitenteil mit dem Lkw zusammen gestoßen und schließlich entgegen der Fahrtrichtung im Straßengraben zum Stehen gekommen. Bei dem entgegenkommende Fahrzeug hatte sich ähnlich verhalten.
Weiter konnte rekonstruiert werden, dass das entgegenkommende Fahrzeug mit ca. 112 km/h statt der erlaubten 100 km/h gefahren war. Für den Fahrer des überholenden Pkw war dies Grund genug, einen Zurechnungszusammenhang zwischen der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Kollision zu behaupten. Auf den ersten Blick erschien dies auch nachvollziehbar und logisch. Denn hätte der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten, wäre er ja auch erst erst später an der Unfallstelle eingetroffen.
Entscheidend war jedoch, dass der Fahrer des überholenden Pkw eigentlich gar nicht hätte überholen dürfen. Denn wie das Gericht feststellte, hatte er zum Zeitpunkt des Überholvorgangs keine ausreichende Sicht, um einen Überholvorgang gefahrlos zu beginnen.
Nur bei ausreichender Sicht darf überholt werden!
Dass er dennoch pflichtwidrig und entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO, wonach er jede Behinderung des Gegenverkehrs auszuschließen hatte, überholte und – offenbar in der Hoffnung, den Überholvorgang noch abschließen zu können – statt abzubremsen weiter beschleunigte, war ein weiterer Aspekt, der dazu führte, dass der Unfall – anders als der Überholende für sich in Anspruch nehmen wollte – für ihn eben nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
Für den Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs sah dies dagegen ganz anders aus!
Aufgrund der Unfallrekonstruktion kam das Gericht zu der Überzeugung, dass der Unfall für den Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs trotz der zweifelsfrei festgestellten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle unvermeidbar im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG war.
Eine andere Beurteilung wäre nur dann möglich gewesen, wenn der Fahrer des überholenden Fahrzeugs einen kausalen (schuldhaften) Verursachungsbeitrag des Fahrers des entgegenkommenden Fahrzeugs hätte nachweisen können, der in eine Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG einzubeziehen gewesen wäre. Ein derartiger Nachweis gelang ihm aber nicht. Die Folge war , dass die Betriebsgefahr des entgegenkommenden Fahrzeugs vollständig hinter den schuldhaften Verkehrsverstoß des Überholenden und die Betriebsgefahr von dessen Fahrzeugs zurück trat.
Eine Geschwindigkeitsüberschreitung kann zwar durchaus eine kausale Rolle bei einem Unfall spielen. Die Behauptung, der Unfall habe sich nur deshalb ereignet, weil das Fahrzeug des anderen Unfallbeteiligten bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an der Unfallstelle eingetroffen wäre, greift jedoch zu kurz. Dies gilt jedenfalls immer dann, wie sich nicht gerade die durch die Geschwindigkeitsüberschreitung erhöhte Gefahrenlage im Unfall verwirklicht hat.
Die Frage des Mitverschuldens des entgegenkommenden Fahrzeugs wäre daher anders zu beurteilen, wenn dessen Geschwindigkeitsüberschreitung deutlich höher gewesen wäre.
Das Urteil und der ihm zugrunde liegende Sachverhalt zeigen, dass man sich als Unfallgeschädigter nicht vom Unfallgegner einschüchtern lassen und nachgeben sollte. Wäre der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs eingeknickt, hätte er seine Ansprüche – zumindest teilweise – verloren. Da er sich aber von den Behauptungen des Überholers und eigentlichen Unfallverursachers nicht einschüchtern ließ, erhielt er auch den ihm zustehenden Schadenersatz.
Wenn Sie in einen Unfall verwickelt sind, lassen Sie sich nicht einschüchtern, sondern kontaktieren Sie uns und bestehen Sie auf Ihrem Recht!
Sie wissen ja: Voigt regelt!