hello world!
hello world!

Aufklärungsobliegenheit

Informationen
21.10.2024

Die Aufklärungsobliegenheit verpflichtet Geschädigte alles zu tun, was der Sachaufklärung und Schadensminderung im Versicherungsfall dienlich ist. Insbesondere müssen Geschädigte Fragen des Versicherers zu den Umständen des Schadenereignisses, zum Umfang des Schadens und der Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig beantworten. Die Musterbedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2015) regeln dies in Buchstabe E.1.1.3.

 

Wie weit reicht die Aufklärungsobliegenheit?

 

Der Zweck der Aufklärungspflicht besteht in erster Linie darin, den Versicherer in die Lage zu versetzen, in Hinblick auf das Schadensereignis sachgerechte Entschlüsse zu treffen. Eine Verletzung kommt daher nicht Betracht, wenn der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige Umstände verschweigt, die dem Versicherer bereits bekannt sind, z. B. weil ein „verschwiegener“ Vorschaden bereits zuvor im Rahmen der Kaskoversicherung reguliert worden und somit beim Versicherer aktenkundig war. Entscheidend ist, dass der Versicherungsnehmer nachweisen kann, dass dem Versicherer durch sein Verhalten keine Feststellungsnachteile entstanden sind. Dies setzt indes nicht voraus, „dass der Beweispflichtige jede denktheoretisch mögliche oder vom Versicherer ins Blaue hinein aufgestellte Sachverhaltsvariante ausschließt, aufgrund derer die Tatsache doch vorliegen  könnte“ (LG Stuttgart, Urt. v. 16.02.2022, Az. 4 S 276/20; OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2018, Az. 20 U 188/17).

 

Allerdings kann ein Geschädigter kann sich nicht darauf berufen, dass der Versicherer auf anderem Wege noch rechtzeitig von den Umständen erfahren oder sich die Kenntnisse anderweitig – z.B. durch eine Dateiabfrage – hätte verschaffen können (BGH, Urt. v. 17.01.2007, Az. IV ZR 106/06). Umgekehrt kann einem ein Versicherungsnehmer nur dann vorsätzliches Handeln vorgeworfen werden, wenn er seine Obliegenheoit kennt und deren Verletzung will (z.B. AG Köln, Urt. v. 21.09.2020, Az. 142 C 270/16). Die Beweislast hierfür trägt der Versicherer.

 

Nach einem Versicherungsfall ist die Aufklärungs- oder Auskunftsobliegenheiten nur solange zu erfüllen, wie der einem Versicherer noch prüfungs- und damit verhandlungsbereit ist. Lehnt der Versicherer  die Leistung endgültig ab oder hält er an ihr fest, enden die Verhandlungen über eine Entschädigungsleistung, während derer der Versicherer auf Angaben eines redlichen Versicherungsnehmers angewiesen ist.  Ein Erfordernis zur Erfüllung der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten besteht dann nicht mehr (BGH, Urt. v. 13.03.2013, Az. IV ZR 110/11).

 

Wie lange  muss am Unfallort gewartet werden?

 

Ob die Aufklärungsobliegenheit verletzt worden ist, hängt maßgeblich den Umständen des Einzelfalls ab. So hat z.B. das OLG Karlsruhe, (Urt. v. 20.01.2022, Az. 12 U 267/21) zur Länge der Wartezeit an einer Unfallstelle ausgeführt, dass diese den Umständen nach angemessen sein muss, was nach der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit zu bewerten sei. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Ob überhaupt und wie lange der Beteiligte am Unfallort zu warten hat, richtet sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles. … Die Bestimmung der Angemessenheit der Wartezeit ist abhängig von dem voraussichtlichen Eintreffen feststellungsbereiter Personen. … Dies ist unter anderem abhängig von dem Unfallort sowie der Tageszeit, weiter ist auch das Feststellungsinteresse des Berechtigten zu berücksichtigen. … Je größer das Ausmaß des Schadens ist, desto länger ist grundsätzlich auch die Wartefrist. Zu berücksichtigen ist außerdem ggf. das Interesse des Unfallbeteiligten an einem frühzeitigen verlassen des Unfallortes.“

 

Dem entsprechend hatte das Gericht bereits 2020 eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit verneint, nachdem ein Versicherungsnehmer „nach einem schweren Verkehrsunfall ohne Fremdbeteiligung und bei klarer Haftungslage zur Nachtzeit im Januar auf einer Landstraße in dörflicher Gegend, bei dem er sich eine blutende Kopfverletzung zugezogen hatte, trotz eines verursachten Fremdschadens von ca. 200 EUR den Unfallort zur ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes ohne Einhaltung einer Wartezeit“ verlassen hatte. Die Obliegenheit zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, sah das Gericht aufgrund der telefonischen Unterrichtung der Polizei am nächsten Morgen in diesem Fall als gewahrt an (OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.08.2020, Az.12 U 53/20).

 

Die Kenntnis der nach Eintritt des Versicherungsfalles mitzuteilenden Umstände bei Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit gehört zwar zum objektiven Tatbestand, den der Versicherer zu beweisen hat (OLG Brandenburg, Urt. v. 31.08.2020, Az. 11 U 70/17, BGH, Beschl. v. 12.12.2007, Az. IV ZR 40/06;  Urt. v. 13.12.2006, Az. IV ZR 252/05).

Psychische Beeinträchtigungen muss der Versicherungsnehmer nachweisen!

Allerdings reicht z.B. die Behauptung des Versicherungsnehmers, er habe beim Verlassen des Unfallortes unter einem „posttraumatischen psychischen Schock mit Erinnerungslücken“ gelitten und deshalb seine Aufklärungsobliegenheit nicht schuldhaft verletzt, nicht zur Exkulpation aus, wenn es an hinreichend gesicherten Feststellungen zu seinem damaligen physischen und psychischen Zustand fehlt und die – gebotene – Würdigung der Gesamtumstände einen solchen Schluss nicht nahelegt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 31.07.2024, Az. 5 U 102/23).

 

Was droht bei Verletzung der Aufklärungsobliegenheit? 

 

Die Folgen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit treten nicht automatisch ein. Sie hängen „von der Entschließung des Versicherers ab, die gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erklären ist“ (BGH, Urt. v. 26.01.2005, Az. IV ZR 239/03).

 

Der Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG gehört, ergibt sich daher grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen (BGH, Urt. v. 01.12.1999, Az. IV ZR 71/99).

 

Gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG kann die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht zum Entfall des Versicherungsschutzes führen. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflicht ist der Versicherer zur Kürzung seiner Leistungen berechtigt (§ 28 Abs. 2 S. 2 VVG), außer der Versicherungsnehmer kann nachweisen, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt hat.

 

Was gilt beim Nachtrunk?

Nach einem alkoholbedingten Unfall hat der Versicherungsnehmer sich für eine polizeilich angeordnete, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereit zu halten.  In diesen Fällen kann selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Versicherer davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers diese Verpflichtung ebenfalls mit umfasst, da es für die Sachaufklärung und Verschuldensabwägung zwischen den Unfallbeteiligten entscheidend auch auf eine einwandfreie BAK-Bestimmung ankommt, die bereits bei einem geringen Nachtrunk nicht mehr durchführbar ist. Die vertragliche Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts ist daher bereits dann verletzt, wenn der Versicherungsnehmer die genaue Bestimmung des Blutalkoholgehalts durch Nachtrunk erschwert.

Die Verletzung dieser Obliegenheit ist als so gravierend zu werten, dass sie den Versicherer bei der Abwicklung des Kaskoschadens zur Verweigerung der Leistung berechtigt (z.B. OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.02.2022, Az. 11 U 176/20).

Übrigens

Einer Entscheidung des LG Stuttgart zufolge (Az. 4 S 276/20 v. 16.02.2022), setzt eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2009, Az. IV ZR 62/07; v. 21.11.2012, Az. IV ZR 97/11 Rn. 29, LG Hechingen, Urt. v. 11.10.2017, Az. 3 S 24/17).

Ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort stellt daher nicht ohne weiteres ein arglistiges Verhalten dar (LG Stuttgart, Urt. v. 16.02.2022, Az. 4 S 276/20; LG Hechingen, Urt. v. 11.10.2017, Az. 3 S 24/17; vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.02.2016, Az. 5 U 75/14; LG Karlsruhe, Urt. v. 13. 04.2017, Az. 20 S 101/16).

Arglistiges Verhalten setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer bewusst und gewollt gegen die Obliegenheit verstößt und dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dadurch das Verhalten des Versicherers zu dessen Nachteil zu beeinflussen. Der Versicherungsnehmer muss also einen aus seiner Sicht gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen. Allein der Umstand, dass ein Versicherungsnehmer sich vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, lässt nicht auf ein arglistiges Verhalten zu Lasten des Versicherers schließen.

Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit stets einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, gibt es nicht (LG Hechingen a.a.O.; LG Duisburg, Urt. v. 15.03.2013, Az. 7 S 104/12 m.w.N.).

Stichwort teilen bei
Zurück zur Übersicht

Ansprechpartner

Dr. Wolf-Henning Hammer

Zum Profil
calendar-fullmagnifiercross WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner