Die Definition des Führens eines Kraftfahrzeugs und die damit verbundenen Haftungsfragen gewinnen in letzter Zeit – insbesondere in Hinblick auf das autonome Fahren – wieder gesteigerte Bedeutung.
Ursprünglich war umstritten, ob der Tatbestand des „Führens“ bereits erfüllt ist, wenn der Motor des Fahrzeugs angelassen und das Abblendlicht eingeschaltet werden oder ob das Fahrzeug sich in Bewegung befinden muss.
Der BGH hat diese Fragen mit Beschluss vom 27.10.1988, Az. 4 StR 239/88 beantwortet, als er sich mit dem Tatbestandsmerkmal des „Führens“ im Sinne von § 316 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen hatte.
Der BGH hatte bereits 1962 festgestellt, dass nur derjenige ein Fahrzeug führt, „der selbst unmittelbar das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeugs sein zu können, das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil leiten“ (Urt. v. 27.07.1962, Az. 4 StR 215/62).
Auch zum Begriff des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis (§ 24 StVG aF = § 21 StVG) hatte der BGH dem „Bewegungsvorgang“ die entscheidende Bedeutung zugemessen (Urt. v. 09.07.1959, Az. 2 StR 240/59). Die Motorkraft spielt dabei keine Rolle. Auch wer ein Kraftfahrzeug lenkt, das ohne Motorkraft – z.B. an einer abschüssigen Strecke – in Bewegung ist, wird dadurch zum Führer des Fahrzeugs (Beschl. v. 29.03.1960, Az. 4 StR 55/60).
Die seinerzeit getroffene Abwägung des BGH vermag auch heute noch zu überzeugen:
„Für den Fall einer Abfahrt bei laufendem, aber vorübergehend ausgekuppeltem Motor, also im Leerlauf, wird dies niemand bestreiten; denn die Anforderungen an das technische Können des Lenkers, seine Beobachtungsgabe und sein Reaktionsvermögen wie auch an seine Kenntnis der Verkehrsregeln sind, besonders auf schwierigen Gefällstrecken, annähernd die gleichen wie beim Antrieb des Fahrzeugs durch den Motor. Andererseits ist die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht geringer; im Gegenteil. Auf Gefällstrecken erreichen Kraftfahrzeuge – worauf das Bayerische Oberste Landesgericht in VRS 16, 57 (59) zutreffend hinweist – infolge ihres Gewichts und ihres leichten Laufes auf Kugellagern allein auf Grund der Schwerkraft schnell hohe Geschwindigkeiten; bei ausgekuppeltem Motor fehlt dessen Bremswirkung, ohne die vor allem schwere Kraftwagen (Omnibusse und Lastkraftwagen) auf langem oder steilem Gefälle nicht stetig und sicher abgebremst werden können.“
Das Rollen der Räder entscheidet
In seinem Beschluss vom 27.10.1988 hat der BGH daher erneut klargestellt, dass „erst der Bewegungsvorgang des Abfahrens selbst, der durch das Anrollen der Räder nach außen in Erscheinung tritt“, entscheidend ist.
Wörtlich heißt es in dem Beschluss:
„Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bestimmung der abstrakten Gefahr entgegenwirken, die dem Verkehr daraus erwächst, dass der Fahrzeugführer infolge der genannten Mängel sein Fahrzeug nicht zu beherrschen vermag. Durch ein stehendes Fahrzeug, das der Beherrschung durch einen Fahrzeugführer nicht bedarf, tritt eine Gefährdung des Straßenverkehrs indessen nicht ein. Die bloße Einnahme der Fahrerposition, das Anlassen des Fahrzeugs im Leerlauf oder das Einschalten des Stand- oder Abblendlichtes stellen Tätigkeiten dar, die einen Gefahrenzustand in aller Regel noch nicht herbeiführen. Auch in Situationen des ruhenden Verkehrs kann es zwar bereits zu Gefahren zuständen kommen, die ihre Ursache in der Fahruntauglichkeit desjenigen haben, der die Verrichtungen am Fahrzeug vornimmt. Wer zum Beispiel infolge seiner Fahruntüchtigkeit an dem stehenden Fahrzeug das Fernlicht einschaltet, kann schon dadurch – je nach Standort des abgestellten Fahrzeugs – eine Gefahr, etwa Blenden entgegenkommender Verkehrsteilnehmer, heraufbeschwören.“
Was gilt bei Zweirädern?
Einem Urteil des LG Freiburg zufolge (Az. 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20, v. 26.10.2021), stellt das Schieben eines Fahrrades kein Führen im Sinne des § 316 StGB dar. Denn obgleich der Schiebende sich dafür in aller Regel des Lenkers bedient (s. BayObLG, VRS 75 127, 128), „so dass das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum geleitet wird … geht die herrschende Meinung, davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann“.
Für Motorräder haben der BGH (Beschl. v. 29.03.1960, Az. 4 StR 55/60) und das Bayerische Oberstes Landesgericht (BayObLG, Urt. v. 09.08.1984, Az. RReg 2 St 154/84) ausgeführt, dass auch derjenige ein Motorrad führt, der es, „ohne den Motor anzulassen, auf dem Sattel sitzend unter Ausnutzung des Gefälles der Fahrbahn fortbewegt.“ Dem BGH zufolge gilt dies selbst dann, „wenn das Fahrzeug vorher nicht mit motorischer Kraft bewegt worden ist und der Fahrer nicht die Absicht oder die Möglichkeit hat, den Motor anzulassen.“
Wer haftet beim autonomen Fahren?
Die Frage des Führens eines Kraftfahrzeugs stellt sich – insbesondere in Hinblick auf die Haftung – aber nicht zuletzt auch beim autonomen Fahren, bei dem ein Kraftfahrzeugführer im eigentlichen Sinne fehlt.
Im „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren“ vom 09.03.2021 heißt es dazu: „Darüber hinaus treffen den Halter eines Kraftfahrzeugs mit autonomer Fahrfunktion in Ermangelung einer im Kraftfahrzeug anwesenden fahrzeugführenden Person erhöhte Sorgfaltspflichten. Er hat dafür zu sorgen, dass die sonstigen, nicht bereits nach § 1e Absatz 2 Nummer 2 StVG (neu) an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften, eingehalten werden.“