Bekannt ist auch, dass eine Begrenzungslinie nicht – auch nicht teilweise – überfahren werden darf. Weniger bekannt ist allerdings, dass eine durchgezogene Linie nicht zwingend auch ein Überholverbot bedeutet. Einem Beschluss des OLG Hamm zufolge, darf unter bestimmten Voraussetzungen jedoch auch bei Vorhandensein einer durchgezogenen Linie überholt werden.
Welchen Zweck hat eine durchgezogene Linie?
Eine durchgezogene ununterbrochene Linie grenzt den für den Gegenverkehr bestimmten Teil der Fahrbahn ab. In der Folge darf nur rechts von ihr gefahren werden und ein Überholen ist nur innerhalb der abgegrenzten Fahrbahnhälfte zulässig. Die andere, abgegrenzte Fahrbahnhälfte darf hierfür nicht in Anspruch genommen werden. (OLG München, Endurteil v. 15.03.2019, Az. 10 U 2655/18). Allerdings muss die durchgezogene Linie erkennbar sein! Kann eine durchgezogene Linie nicht mehr mit einem beiläufigen Blick erkannt werden, entfaltet sie keine Rechtswirksamkeit (LG Offenburg, Urteil vom 21. September 2020, Az. 2 O 34/19).
Beutet das Verbot zum Überfahren der Linie ein Überholverbot?
Da innerhalb der abgegrenzten Fahrbahnfläche überholt werden darf, verstößt ein Überholen, selbst wenn damit ein Überfahren der durchgezogenen Linie verbunden ist, nicht gegen das Überholverbot des § 5 StVO, wohl aber gegen das Verbot, Fahrstreifenbegrenzungen zu überfahren, § 41 StVO, was mit einem Verwarngeld von 30 EUR geahndet wird. Es darf nur dann überholt werden, wenn der vorgeschriebene Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern dabei nicht unterschritten wird. Bei einer engen Fahrbahn kann eine durchgezogene Linie daher als „faktisches Überholverbot“ gewertet werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.04.1987, Az. VI ZR 66/86).
Faktische und echte Überholverbote sind vergleichbar!
Auch wenn eine durchgezogene Linie als solche nicht mit einem Überholverbot gleichgesetzt werden kann, leitet die Rechtsprechung aus ihrem Vorhandensein sowohl eine Schutzfunktion für vorausfahrende als auch für entgegenkommende Verkehrsteilnehmer ab. So müssten z.B. vorausfahrende Verkehrsteilnehmer auf engen Fahrbahnen nicht damit rechnen, dass ein nachfolgender Fahrer sich verkehrswidrig verhält und zum Überholen ansetzt, wenn die durchgezogene Linie hierzu überfahren werden muss. Dies gilt insbesondere bei unklarer Verkehrslage, wenn nach allen gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht gerechnet werden darf (s.a. OLG Düsseldorf, Beschl. 30.10.1995, Az. 5 Ss (OWi) 345/95 – (OWi) 157/95 I); Beschl. v. 30.03.1994, Az. 5 Ss (OWi) 65/94 – (OWi) 61/94 I). Wer in einer Kolonne, z.B. hinter einem langsam fahrenden Fahrzeug fährt, darf – ungeachtet des faktischen Überholverbots – daher insbesondere dann nicht zum Überholen ausscheren, wenn unklar ist, wie sich der Fahrer eines vorausfahrenden Fahrzeugs verhalten und was er als nächsten Schritt unternehmen wird (OLG Hamm, Urt. v. 09.07.2013, Az. 9 U 191/12).
Zusammenfassung
Das Vorhandensein einer durchgezogenen Linie bedeutet für sich alleine noch kein Überholverbot im Rechtssinne. Dessen ungeachtet dient eine durchgezogene Linie sowohl dem Schutz des entgegenkommenden als auch des nachfolgenden Verkehrs. Wo eine durchgezogene Linie zum Überholen überfahren werden muss, führt ihr Vorhandensein – nicht nur bei unübersichtlichen Verkehrsverhältnissen oder beengten Straßen zu einem faktischen Überholverbot. Wer in einer solchen Situation zum Überholen ansetzt und in einen Unfall verwickelt wird, kann wegen verkehrswidrigen Überfahrens der Fahrstreifenbegrenzung beim Überholen, § 41 StVO, belangt werden. Haftungsrechtlich muss er sich ein Mitverschulden zurechnen lassen und bleibt im Zweifel auf einem Teil des Schadens sitzen.