Gemäß § 1 Abs. 2 StVO haben Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt werden.
Im Einzelfall bedeutet dies, dass „ein Fahrstreifen nur gewechselt werden (darf), wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist“ (§ 7 StVO), „beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren (ist sich) so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO). Die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen muss auch, „wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2), aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1 und 325.2) auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren“ (§ 10 StVO)und wer abbiegen will (§ 37 StVO). Den Begriff des „anderen Verkehrsteilnehmers“ definiert die Gesetzgebung indes nicht.
Die Rechtsprechung sieht als „anderen Verkehrsteilnehmer“ grundsätzlich jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (BGH, Urt. v. 15.05.2018, Az. VI ZR 231/17, BGH, Beschl. v. 25.11.1959, Az. 4 StR 424/59).
Diese Sorgfalt soll aber auch gegenüber einem Radfahrer zu beachten sein, der den Radweg entgegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO entgegen der Fahrtrichtung benutzt. Ebenso bleibt ein solcher Radfahrer gegenüber einem aus einer untergeordneten Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer vorfahrtsberechtigt (vgl. BGH, Beschl. v. 15.07.1986, Az. 4 StR 192/86; OLG Hamm, Urt. v. 04.08.2017, Az. 9 U 173/16).
Sind an- und einfahrende Verkehrsteilnehmer ebenfalls „Andere Verkehrsteilnehmer“ im Sinne des Gesetzes?
Der BGH hat in einem Urteil vom 08.03.2022 (Az. VI ZR 1308/20) festgestellt, dass „anderer Verkehrsteilnehmer“ im Rahmen des § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO nur ein Teilnehmer des fließenden Verkehrs ist. Da der Schutzzweck des § 7 Abs.5 StVO nicht dem ruhenden Verkehr oder vom Fahrbahnrand anfahrender Verkehrsteilnehmer dient (z.B. KG, Beschl. v. 15.08.2007, Az. 12 U 202/06) fallen vom Fahrbahnrand An- und in den fließenden Verkehr Einfahrende nicht darunter (s.a. OLG München, NJW-RR 1994, 1442, 1443; OLG München, Urt. v. 17.12.2010, Az. 10 U 2926/10, OLG Naumburg, Urt. v. 29.11.2012, Az. 1 U 82/12; AG Hamburg, Urt. v. 27.08.2020, Az. 20a C 54/20).
Allerdings fällt dem OLG Hamm zufolge (Urt. v. 11.01.2019, Az. 9 U 81/18), bei der Ausfahrt aus einem Grundstück zwar „primär“ (BGH, Anerkenntnisurteil v. 15.12.2015 – Az. VI ZR 6/15) und „insbesondere“ (BGH v. 25.04 1985, Az. III ZR 53/84), nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern auch derjenige darunter, der auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren (vgl. BGH, Urt. v. 15.05.2018, Az. VI ZR 231/17; OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.09.2017, Az. 4 U 16/16).