Der Begriff des Vorschadens ist sowohl für das Kauf- als auch für das Schadensrecht von Bedeutung. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil frühere Schäden den Marktwert eines Fahrzeugs selbst dann beeinflussen können, wenn sie vollständig repariert sind (z.B. BGH, Urt. v. 05.12.2001, Az. IV ZR 225/00).
Beim Kauf von Gebrauchtwagen spielt der Vorschaden eine Rolle, wenn es um Haftungsausschlüsse gemäß § 444 BGB geht, wenn ein Verkäufer erklärt, keine Garantie für die Unfallfreiheit des verkauften Fahrzeugs übernehmen zu wollen. Derartige Erklärungen des Verkäufers eines Gebrauchtwagens können nicht als Mitteilung eines Unfallschadens gewertet werden. Sie sind vielmehr so zu verstehen, dass der Verkäufer keine Beschaffenheitsgarantie übernehmen und nur „normal“ auf Gewährleistung haften will (BGH, Urt. v. 17.02.2010, Az. VIII ZR 67/09).
Dem OLG Koblenz zufolge (Beschl. v. 28.07.2021, Az. 12 U 353/21), soll der Umstand, dass ein Geschädigte als Käufer eines Gebrauchtwagens einen Vorschaden oder dessen Umfang nicht kennt, nicht in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallen (s.a. KG Berlin, Urt. v. 27.08.2015, Az. 22 U 152/14). Vielmehr sei es Sache des Geschädigten, entsprechende Auskünfte bei dem Vorbesitzer des Pkw einzuholen.
Was bedeuten Vorschäden für den Schadenersatz?
Im Schadensersatzrecht mindern Vorschäden den Ersatzanspruch des Geschädigten. Zu Problemen kommt es oft, wenn das Schadensereignis (Unfall) zu Schäden führt, die mit dem Vorschaden kompatibel sind. In derartigen Fällen besteht ein Ersatzanspruch nur dann, „wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO auszuschließen ist, dass diese bereits im Rahmen des Vorschadens entstanden sind“ (OLG Köln, Beschl. v. 04.06.2018, Az. 15 U 7/18). Gebrauchsspuren sind nicht als Vorschaden einzustufen und mindern den Schadensersatzanspruch nicht (OLG Hamm, Urt. v. 28.06.2022, Az. 7 U 45/21).
In einem Urteil des Landgerichts Berlin (Az. 41 O 147/19, v. 09.07.2020) liest sich das wie folgt:
“Im Falle eines reparierten Vorschadens treffen den Geschädigten besondere Darlegungs- und Beweispflichten. Er muss im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs nicht bereits zuvor vorhanden waren, weil ihn die Darlegungs- und Beweislast für die Unfallkausalität des geltend gemachten Schadens bzw. die vorherige Schadensfreiheit seines Fahrzeugs trifft. Hierfür muss er im Einzelnen zu der Art der Vorschäden, d.h. zu ihrem genauen Umfang sowie der Ursache ihrer Entstehung, und zu ihrer Beseitigung vortragen. Kann er dies nicht, so geht dies zu seinen Lasten”
Das Landgericht Lübeck sieht dies genauso. In einem Urteil vom 19.12.2023, (Az. 10 O 38/23) hat es zu den Grundsätzen der Vorschadenproblematik ausgeführt:
“Der Geschädigte hat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der geltend gemachte Schaden durch das gegnerische Fahrzeug verursacht wurde. Er kann selbst kompatible Schäden nicht ersetzt verlangen, wenn jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind. Denn nach allgemeinen Regeln ist es Aufgabe des Klägers, die Voraussetzungen eines Haftungstatbestandes, hier also das Entstehen und den Umfang eines Sachschadens darzulegen und zu beweisen. Voraussetzung für eine Anwendung dieser Grundsätze zu Lasten des Geschädigten ist jedoch, dass die Seite des Schädigers darlegt und ggf. beweist, dass es in der Vergangenheit überhaupt einen solchen Vorschaden gegeben hat, soweit der Geschädigte bestreitet, dass es Vorschäden an seinem Fahrzeug gegeben hat.”
Die fachgerechte Beseitigung des Vorschadens ist nachzuweisen
Einem Urteil des OLG Dresden vom 16.02.2021 (Az. 4 U 1909/20) zufolge, ist der Versicherungsnehmer – auch in der Kaskoversicherung – dafür beweispflichtig, dass die Vorschäden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Eintritt des neuen Schadenfalles fachgerecht beseitigt worden sind. „Dazu muss er ausschließen, dass ähnliche Schäden im gleichen Bereich schon früher vorhanden waren (vgl. z. B. OLG Hamm, Beschl. v. 01.02.2013, Az. 9 U 238/12; OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2003, Az. 6 U 362/03). Erst wenn detailliert nachgewiesen wurde, welche technisch abgrenzbaren Vorschäden durch welche Reparaturmaßnahmen fachgerecht beseitigt worden sind, besteht Raum für eine Schätzung der Schadenshöhe (§ 287 ZPO).“
Wie das OLG Bremen in einem Urteil vom 30.06.2021, Az. 1 U 90/19 treffend ausgeführt hat, dürfen dabei „die Anforderungen an den Sachvortrag einer Partei nicht zu überspannen sind und dass die Frage, wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, auch von ihrem Kenntnisstand abhängt.“ Ein Geschädigter kann seiner Darlegungslast hinsichtlich einer in seiner Besitzzeit erfolgten Reparatur von Vorschäden demnach bereits dadurch genügen, dass er die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt, während die weiteren Fragen in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 12.12.2019, Az. 22 U 190/18; OLG Hamm, Urt. v. 17.07.2020, Az. 9 U 132/19).
Dem OLG Celle zufolge (Urt. v. 01.03.2023, Az. 14 U 149/22) liegt, wenn es sich um eine nur äußerliche Beschädigung, d.h. einen äußerlichen Kleinstschaden gehandelt hat, eine sach- und fachgerechte Reparatur vor, wenn die Beschädigung nicht mehr erkennbar ist.
Umgekehrt wird der Versicherer des Erstschädigers jedoch nicht von seiner Leistungspflicht befreit, wenn das vorgeschädigte Karosserieteil bei einem späteren Unfall zusätzlich beschädigt wird und der Erstschaden bei der Reparatur des Zweitschadens zwangsläufig ebenfalls beseitigt wird. In diesen Konstellationen bleibt der Geschädigte gegenüber dem Versicherer des Erstschädigers zur fiktiven Abrechnung berechtigt (BGH, Urt. v. 12.03.2009, Az. VII ZR 88/08).
Ausführlich, mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen: OLG Bremen, Urt. v. 30.06.2021, Az. 1 U 90/19 (Downloadlink).
Auf bekannte Vorschäden ist hinzuweisen
Einem Urteil des Landgerichts Saarbrücken (Az. 13 S 139/20, v. 12.03.2021) zufolge, ist ein Geschädigter gut beraten, wenn er einen Sachverständigen auf nicht ohne weiteres erkennbare Vorschäden hinweist. Wird das Gutachten zur Schadensregulierung ungeeignet, weil der Geschädigte Vor- bzw. Altschäden verschwiegen hat, muss der Versicherer die Kosten des Gutachtens nicht ersetzen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.10.2019, Az. 31 U 115/19; v. 16.10.2019, Az. 31 U 115/19; Beschl. v. 03.08.2018, Az. I 9 U 111/18; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2013, Az. I 1 U 153/11; OLG Köln, Beschl. v. 16.05.2018, Az. 7 U 21/18).
Entscheidend ist, dass der ersatzpflichtige Versicherer über etwaige Vorschäden informiert worden ist. Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn die Frage nach einem reparierten Vorschaden mit „nein“ beantwortet, den Unterlagen aber eine Rechnung des Autohauses beigefügt worden ist, aus der sich nicht nur eine Beschädigung, sondern auch der Austausch des Stoßfängers ergibt (KG Berlin, Beschl. v. 13.08.2021, Az. 6 U 1014/20). Im Zweifel ist ein „kleinschrittiger Vortrag des Geschädigten“ erforderlich (AG Siegen, Urt. v. 16.04.2021, Az. 14 C 1663/20). Dasselbe gilt für die Konstellation eines unzutreffend erstellten Gutachtens, wenn bei der Annahme des Fahrzeugs durch das Autohaus vermerkt wurde: „Haftpflichtschaden. Unfallschaden hinten rechts im Bereich des Radlaufs… Hinweis: Stoßfänger hinten rechts beschädigt (Altschaden)” OLG Stuttgart, Urt. v. 16.02.2023, Az. 2 U 226/21. Bei älteren Fahrzeugen kann es daher ausreichen, wenn im Gutachten auf kleinere Lackschäden und Dellen hingewiesen wird. Für das AG Schleswig ist es dabei völlig unerheblich “Wie sie genau aussehen und wo sie sich befinden,…” ( Urt. v. 29.09.2023, Az. 3 C 36/23; s.a. AG Kiel, Urt. v. 22.12.2021, Az. 106 C 134/21).
Bei Vorschäden, die während der Besitzzeit des Geschädigten eingetreten und repariert worden sind und für die dem Geschädigten entsprechende Werkstattrechnungen vorliegen, aus denen sich der Vorschaden und seine sach- und fachgerechte Reparatur ohne weiteres nachvollziehen lassen, ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls nach § 119 Abs. 3 VVG verpflichtet, dem gegnerischen Haftpflichtversicherer im Rahmen der Regulierung des Sachschadens nicht nur Auskunft über den Vorschaden zu erteilen, sondern auch die entsprechenden Rechnungen vorzulegen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.10.2024, Az. 3 W 7/24).
Das Verschweigen von Vorschäden gegenüber dem eigenen Privatgutachter muss nicht zwingend zur Unbrauchbarkeit des Privatgutachtens führen. Ein Ersatzanspruch des Geschädigten ist insbesondere dann nicht ausgeschlossen, wenn die verschwiegenen Vorschäden die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes nicht beeinflusst haben (OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2022, Az. 7 U 33/21).Weist der Geschädigte den von ihm beauftragten Gutachter jedoch nicht darauf hin, sodass die Vorschäden bei der Ermittlung der Schadenhöhe unberücksichtigt bleiben, ist das Gutachten unbrauchbar (OLG Bremen, Beschl. v. 14.06.2023, Az. 3 U 41/22) und die Gutachterkosten sind nicht zu ersetzen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.05.2024, Az. 3 U 13/23).
Schließlich kann der Wiederbeschaffungswert, d.h. der Wert eines vergleichbaren Fahrzeugs ohne den Unfallschaden nur ermittelt werden, wenn feststeht, in welchem konkreten Zustand sich das beschädigte Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt befand, insbesondere inwieweit der Wert durch Alt- und Vorschäden gemindert war. (OLG Hamm, Beschl. v. 26.05.2021, Az. 7 U 55/20)
Hat ein Geschädigter jedoch von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und behauptet die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm im Prozess nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Wie der BGH in einem Beschluss vom 15.10.2019, Az. VI ZR 377/18 ausführte, kann ein geschädigter die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens behaupten und unter Zeugenbeweis stellen, ohne dass dies als eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht oder als unzulässiger Ausforschungsbeweis gesehen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 10.01.1995, Az. VI ZR 31/94; 13.07.1988, Az. IVa ZR 67/87).
Die Obliegenheit auf Vorschäden hinzuweisen besteht auch dann, wenn der Geschädigte davon ausgeht dieser sei mit Originalteilen vollständig und fachgerecht repariert worden. Besonders problematisch ist, wenn ein Geschädigter wider besseres Wissen die Abwesenheit von Vorschäden behauptet. In diesen Fällen ist regelmäßig Arglist anzunehmen (OLG Bremen, Beschl. v. 14.06.2023, Az. 3 U 41/22 zur Darlegungslast in der Voll- und Teilkaskoversicherung).
Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss ein Geschädigter im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits vorhanden waren. Hierzu muss im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vorgetragen werden (OLG Brandenburg, Urt. v. 03.03.2022, Az. 12 U 194/20).
Die Obliegenheit auf Vorschäden hinzuweisen besteht übrigens auch dann, wenn der Geschädigte davon ausgeht dieser sei mit Originalteilen vollständig und fachgerecht repariert worden. Besonders problematisch ist, wenn ein Geschädigter wider besseres Wissen die Abwesenheit von Vorschäden behauptet. In diesen Fällen ist regelmäßig Arglist anzunehmen (OLG Bremen, Beschl. v. 14.06.2023, Az. 3 U 41/22 zur Darlegungslast in der Voll- und Teilkaskoversicherung).
Händler können zur Untersuchung verpflichtet sein!
Der BGH hatte am 19.06.2013 (Az. VIII ZR 183/12) entschieden, dass einem Händler kein Vorwurf gemacht werden kann, wenn er keinen Einblick in die Reparaturhistorie eines angekauften Fahrzeugs genommen hat, wenn er nicht damit rechnet, dass dort offenbarungspflichtige Daten auftauchen.
Kauft ein gewerblicher Autohändler allerdings von einem privaten Verkäufer ein Fahrzeug zum Wiederverkauf an, trifft ihn jedenfalls dann eine Pflicht zur näheren eigenen Untersuchung, wenn er die nach Mitteilung des Verkäufers behobene Vorschädigung des Fahrzeuges kennt (Urt. v. 13.05.2024, Az. 12 U 164/23; OLG Saarbrücken, Urt. v. 06.07.2016, Az. 2 U 54/15).
Kompatible Schäden können Probleme nach sich ziehen…
Als kompatible Schäden werden Schäden bezeichnet, die sowohl durch den aktuellen Unfall als auch durch ein früheres Ereignis verursacht worden sein können. Wird die Kausalität zwischen dem Unfall und den vorliegenden Schäden bestritten, hat der Geschädigte die Ursächlichkeit im Einzelnen nachzuweisen. Um Schadensersatz zu erhalten, muss er ausschließen können, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits zuvor vorhanden waren (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 07.04.2022, Az. 7 U 82/21; KG, Beschl. v. 13.08.2007, Az. 12 U 180/06); OLG Hamburg, Urt. v. 28.03.2001, Az. 14 U 87/009).
Allerdings dürfen die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf Art und Ausmaß eines Vorschadens und zu Umfang und Güte einer Vorschadensreparatur, auch wenn der Vorschaden in die Besitzzeit des Geschädigten fällt, nicht überspannt werden (BGH, Beschl. v. 06.06.2023, Az. VI ZR 197/21; OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2024, Az. 7 U 7/24 v. 14.05.2024; v. 11.04.2022, Az. 7 U 9/22, in Fortschreibung zur Rechtsprechung von Vorschäden außerhalb der Besitzzeit des Geschädigten BGH Beschl. v. 15.10.2019, Az. VI ZR 377/18, OLG Hamm Urt. v. 25.01.2022, Az. 9 U 46/21).
… müssen es aber nicht!
So hat z.B. das Amtsgericht Wuppertal entschieden, dass ein Kratzer am Stoßfänger keinen Einfluss auf die Höhe des neuen Schadens hat, wenn der Stoßfänger nach einem Heckaufprall erneuert werden muss (AG Wuppertal, Urt. v. 07.10.2022, Az. 33 C 42/21).
Neuschäden können weiterhin fiktiv abgerechnet werden
Neuschäden kann der Geschädigte fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnen, wenn er seiner Darlegungs- und Beweislast für die fachgerechte Behebung hinsichtlich des Vorschadens nachgekommen ist (AG Rheinbach, Urt. v. 06.02.2020, Az. 5 C 112/19).