Nach einem Unfall steht dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners ein bestimmter Prüfungszeitraum für seine Regulierungsentscheidung zu. Geschädigte dürfen vor Ablauf dieser Prüfungsfrist nicht auf eine vorzeitige Ersatzleistung des Versicherers vertrauen; der Versicherer darf vielmehr davon ausgehen, seine Prüfungsfrist ausschöpfen zu können, ohne dass weitere Nachteile zu befürchten sind.
In einem Urteil des OLG Düsseldorf vom 15.10.2007, Az. I-1 U 52/07 heißt es zur Vorfinanzierung:
“Die Klägerin war nicht gehalten, zur Vorfinanzierung der Reparatur aus eigenen Mitteln in Vorlage zu treten oder sich einen Kredit zu beschaffen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung in Vorlage zu treten bzw. einen Kredit aufzunehmen, allenfalls unter besonderen Umständen angenommen werden kann (Senat, Urteil vom 29. Oktober 2001, Az.: 1 U 211/00 mit Hinweis auf BGH NJW 1989, 290, 291 und weiteren Nachweisen unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung im Urteil vom 3. Februar 1997, Az.: 1 U 68/96 – OLGR Düsseldorf 1997, 107; Senat, Urteil vom 22. Januar 2007, Az.: 1 U 151/06; Senat, Urteil vom 20. August 2007, Az.: 1 U 258/06).
Die Rechtsprechung bejaht eine solche Pflicht nur ausnahmsweise (BGH NJW – RR 2006, 394; BGH NJW 1989, 290, 291 mit Hinweis auf BGH VersR 1963, 1161, 1162 sowie BGH BB 1965, 926, 927). Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen (BGH NJW-RR 2006, 394; s. aber auch BGH VersR 1974, 90, 91). Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat (Senat a.a.O. mit Hinweis auf BGH NJW 1989, 290, 291 und weiteren Nachweisen).
Es ist das Risiko des Schädigers, wenn er auf einen Geschädigten trifft, der finanziell nicht in der Lage ist, die zur Ersatzbeschaffung notwendigen Mittel vorzustrecken und sich hierdurch der Zeitraum des Nutzungsausfalls und der Umfang der damit einhergehenden Schäden vergrößert. Insofern braucht der Geschädigte den Schädiger/Versicherer grundsätzlich auch nicht von sich aus darauf hinzuweisen, dass er die Schadensbeseitigung ohne Fremdmittel nicht vorfinanzieren kann. Eine eigene Kreditunwürdigkeit muss von ihm nicht ohne weiteres offen gelegt werden (Senatsurteil vom 05. November 2001, Aktenzeichen 1 U 211/00). Angaben dazu können nur prozessual im Rahmen einer sekundären Darlegungslast verlangt werden (BGH NJW-RR 2006, 394).”
Weist der Geschädigte den Versicherer von sich aus darauf hin, dass er zur Vorfinanzierung nicht in der Lage ist, reicht ein pauschaler Hinweis. Eine Pflicht zur Erläuterung von Einzelheiten, insbesondere zur Vorlage schriftlicher Nachweise, besteht nicht (LG Karlsruhe, Beschl. v. 24.01.2023, Az. 19 S 39/23). Sollte der gegnerische Versicherer weitere Informationen oder zusätzliche Nachweise benötigen, hat er diese beim Geschädigten anzufordern (AG Hamburg-Harburg, Urt. v. 06.02.2023, Az. 648 C 22/22, m.w.N.).
Das AG Stauffen hat in einem Urteil vom Urt. v. 23.07.2019, Az. 2 C 396/18 zwar ausgeführt, dass es unter bestimmten Voraussetzungen geboten sein, dass „Aufwendungen zur Beseitigung oder Minderung des Schadens schon gemacht werden, bevor die dem Schädiger bzw. seiner Haftpflichtversicherung einzuräumende angemessene Frist zur Prüfung der Einstandspflicht verstrichen ist. So ist es dem Geschädigten bei der Abwicklung von Schäden aus einem Verkehrsunfall grundsätzlich zuzumuten, die Kosten der Ersatzbeschaffung ohne Rückgriff auf einen Bankkredit aus eigenen Mitteln vorzustrecken, wenn dies ohne besondere Einschränkung der gewohnten Lebensführung möglich ist.“ An der grundsätzlichen Aussage ändert dies jedoch nichts.
Insbesondere haben Geschädigte grundsätzlich einen Anspruch auf sofortigen Ersatz. Sie sind zwar berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, die Behebung des Schadens aus eigenen Mitteln zu finanzieren oder gar ein Darlehen zu Gunsten des gegnerischen Versicherers aufzunehmen (z.B. BGH, Urt. v. 17.11.2020, Az. VI ZR 569/19; Urt. v. 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19; Urt. v. 06.03.2007, Az. VI ZR 36/06; Urt. v. 18.02.2002, Az. II ZR 355/00; Urt. v. 16.11.2005, Az. IV ZR 120/04). Eine eigene Kreditunwürdigkeit muss nicht ohne Weiteres offen gelegt werden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.10.2007, Az. I-1 U 52/07). Es ist vielmehr grundsätzlich die Aufgabe des Schädigers – bzw. dessen Versicherers – auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat (siehe OLG Schleswig, Urt. v. 04.01.2022, Az. 7 U 59/21; OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.10.2018, Az.1 U 162/17 ; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.01.2007, Az. I-1 U 151/06).
Weist der Geschädigte den Versicherer nicht darauf hin, dass er die Beseitigung des Schadens nicht aus eigenen Mitteln finanzieren kann, kann ihn hinsichtlich des Ausfallschadens ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 2 BGB treffen. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Schädiger ohnehin nicht in Vorleistung getreten wäre, so dass das Unterbleiben des Hinweises keinen Einfluss auf das Entstehen des weiteren Schadens hat (LG Kassel, Urt. v. 11.05.21, Az. 8 O 447/19).
Muss ein Geschädigter die eigene Kaskoversicherung zur Vorfinanzierung nutzen?
Eine Pflicht zur Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers, um die Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten, besteht nicht (BGH, Urt. v. 17.11.2020, Az. VI ZR 569/19). Der Zweck der Kaskoversicherung besteht nicht nicht in der Entlastung des Schädigers, sondern im Ersatz des Schadens für den Fall, dass kein Ersatzpflichtiger greifbar ist. Unterlässt ein Geschädigter daher die Inanspruchnahme des Vollkaskoversicherers, kann daraus kein Mitverschulden an einer etwaigen Schadensvertiefung abgeleitet werden (s.a. AG Berlin-Mitte, Urt. v. 12.10.2023, Az. 121 C 17/23 V; LG Siegen, Urt. v. 20.10.2021, Az. 1 O 399/20).