Unfallgeschädigte müssen ihr Fahrzeug grundsätzlich nicht dem Gutachter der Versicherung vorführen. In der Regel funktioniert das auch. Mitunter zweifelt der Versicherer das Gutachten jedoch an, fordert eine Nachbesichtigung und macht sogar die Zahlung der Entschädigungsleistung davon abhängig.
Die Gerichte haben hierzu eine klare Meinung. Laut Rechtsprechung haben Versicherer grundsätzlich kein pauschales Recht auf eine Nachbesichtigung (LG Aachen, Beschluss vom 23.08.2017, Az. 2 T 173/17; LG Potsdam, Urteil vom 03.03.2015, Az. 11 O 166/14; LG Lübeck, Beschluss vom 19.04.2013, Az. 16 O 19/12). Bestenfalls können sie die Vorlage von Belegen verlangen. Eine abweichende Meinung vertreten das LG Heilbronn (Urt. v. 29.11.2007, Az. 4 T 22/07) und das AG Heilbronn (Urt. v. 24.10.2007, Az. 9 C 1648/07).
Entscheidend ist, dass das vom Geschädigten eingeholte Gutachten keine so gravierenden Mängel aufweist, dass seine Mangelhaftigkeit auf den ersten Blick erkennbar ist. Wenn er das Gutachten für einwandfrei halten darf, kann er den Schaden auf dessen Grundlage abrechnen.
Die Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (§§ 115; 119 VVG) verpflichten den Geschädigten zwar zur Rücksichtnahme gegenüber dem Versicherer und geben diesem ein Recht auf Auskunft, soweit dies zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Dies bedeutet aber lediglich, dass Geschädigte Belegen vorlegen müssen und das auch nur, soweit deren Beschaffung billigerweise zugemutet werden kann. Das Fahrzeug muss dagegen nicht vorgeführt werden (z.B. LG Wuppertal, Urt. v. 18.05.2022, Az. 3 O 156/20; OLG Celle, Urt. v. 01.12.2021, Az. 14 U 83/21; LG Berlin, Urt. v. 13. 07.2011, Az. 42 O 22/10; LG Aachen, Beschl. v. 23.08.2017, Az. 2 T 173/17; LG Lübeck, Beschl. v. 19.04.2013, Az. 16 O 19/12).
Den geschuldeten Schadensersatz darf der Versicherer nicht zurückhalten (z.B. AG Siegen, Urt. v. 18.07.2013, Az. 14 C 2207/12). Sollte der Geschädigte sein Fahrzeug inzwischen weiterveräußert haben und eine Nachbesichtigung deshalb nicht mehr möglich sein, kann der Versicherer alleine daraus keinen Vorwurf wegen Beweisvereitelung ableiten (LG Wuppertal, Urt. v. 23.04.2012, Az. 4 O 278/11).