Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall hat der Geschädigte in der Regel Anspruch auf einen Ersatzwagen. Die Erstattung der Mietwagenkosten ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Mindestnutzung von 20 km/Tag Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit. Allerdings sind Mietwagenkosten unter bestimmten Voraussetzungen auch dann erstattungsfähig, wenn das Fahrzeug weniger oder gar nicht genutzt wird, der Geschädigte aber auf die ständige und sofortige Verfügbarkeit eines Fahrzeugs angewiesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2013, Az. VI ZR 290/1). Und wenn – wie z.B. in Zeiten einer Pandemie – Kontaktbeschränkungen angeordnet sind, kann auch eine tägliche Nutzung von 16,5 km eine nicht als unbilliges unwirtschaftliches Verhalten des Geschädigten gewertet werden (AG Stuttgart, Urt. v. 11.01.2022, AZ. 41 C 2128/21).
Die ersatzfähigen Kosten sind danach zu bemessen, was „ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch“ für „zweckmäßig und notwendig“ halten darf (z.B. AG Nürnberg, Urt. v. 14.10.2010, Az. 34 C 4716/10). Dem AG Geestland zufolge (Urt. v. 29.07.2022, Az. 3 C 167/22) sind Geschädigte z.B. nicht dazu verpflichtet, ihr Fahrzeug erst an einem Montag zur Reparatur zu bringen, damit über das Wochenende keine Mietwagenkosten anfallen.
Nach der Rechtsprechung entfällt der Anspruch auf einen Mietwagen, wenn dem Geschädigten ständig ein Zweitwagen zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung dem Geschädigten zumutbar ist. Bei Oldtimern, großen Fahrzeugen (AG Duisburg, Urt. v. 27.10.2017, Az. 9 C 224/17 für einen Dodge Pick Up) oder Extremsportwagen ist dies zu verneinen.
Dem OLG Frankfurt zufolge (Urt. v. 21.07.2022, Az. 11 U 7/21) “steht einem Unfallgeschädigten während der Reparaturzeit eines beschädigten Porsche keine Nutzungsausfallentschädigung zu, wenn ihm ein Ford als Zweitfahrzeug zur Verfügung steht; auf eine Einschränkung des Fahrvergnügens kann er sich nicht berufen.”
Zudem besteht auch dann ein Anspruch auf einen Mietwagen, wenn zwar ein ständig nutzbarer Zweitwagen zur Verfügung steht, aber nicht geeignet ist (AG Zwickau, Urt. v. 19.10.2018, Az. 2 C 14/18) für einen kleinen Zweitwagen, der das Gepäck für den unmittelbar bevorstehenden Urlaub nicht aufnehmen kann).
Einem Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.10.2020, Az. 19 S 4/20 zufolge, sind die Kosten für ein Navigationsgerät oder eine Anhängerkupplung zu erstatten, wenn das beschädigte Fahrzeug damit ausgestattet war. Versicherer behaupten zwar immer wieder , dass Navigationsgeräte in Zeiten von Smartphones nicht mehr erforderlich seien. Das Amtsgericht Kaufbeuren hat dies jedoch anders gesehen. In einem Urteil vom 06.12.2022, Az. 2 C 753/22 heißt es wirklichkeitsnah: “Der Geschädigte muss sich nicht auf ein Smartphone verweisen lassen, da nicht jeder Mensch ein Smartphone besitzt und der Einsatz eines Smartphones auch nur bedingt verkehrsrechtskonform ist.”
Mehrkosten für Winterreifen sind ebenfalls zu erstatten, da auch diese nicht mit dem Normaltarif abgegolten sind (vgl. LG Wiesbaden, Urt. v. 17.12.2021, Az. 14 S 132/20; BGH, Urt. v. 05.03.2013, Az. VI ZR 245/11).
Die Kosten für die Zustellung und Abholung des Mietfahrzeugs sind ebenso erstattungsfähig, wie die für eine Haftungsreduzierung. Die Rechtsprechung betrachtet die Kosten der Haftungsreduzierung selbst dann als erforderlich, „wenn für das Unfallfahrzeug keine Vollkaskoversicherung bestand, der Geschädigte aber während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko („Sonderrisiko“) ausgesetzt ist, etwa weil der Mietwagen in einem neueren und gepflegteren Zustand ist als das Unfallfahrzeug“ (z.B. LG Wuppertal, Urt. v. 08.07.2021, Az. 9 S 41/21; LG Landshut, Urt. v. 20.01.2021, Az. 14 S 2487/20; BGH, Urt. v. 15.02.2005, Az. VI ZR 74/04). Zudem ist das Risiko einer erneuten Verwicklung in einen insbesondere allein oder jedenfalls mitverschuldeten Schadensfall mit dem angemieteten Fahrzeug ist grundsätzlich als erheblich und ebenfalls unfallbedingt anzusehen (LG Würzburg, Beschl. v. 16.03.2022, Az. 41 S 243/22, m.w.N.
Ungeachtet dessen kommt es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten, weil Uneinigkeit darüber besteht, ob der Mietpreis auf der Grundlage der Fraunhofer-Liste, des Schwacke-Mietpreisspiegels oder auf der Grundlage des arithmetischen Mittels aus beiden Listen („Fracke“) zu berechnen ist, wie es beispielsweise das OLG Dresden (Urt. v. 04.11.2020, Az. 1 U 995/20) gefordert hat.
Vom Grundsatz her haben Geschädigte Anspruch Erstattung der Kosten des Normaltarifs, zuzüglich etwaiger Aufschläge (vgl. BGH, Urt. v. 02.02.2010, Az. VI ZR 7/09). Um die Kosten zu minimieren, weisen etliche Versicherer Geschädigte von sich aus auf günstige Mietwagenangebote hin. Nachvollziehbar ist dies insbesondere unter dem Aspekt, dass ein em Geschädigten keine generellen Erkundigungspflichten nach preiswerteren Alternativen obliegen (Amtsgericht Sinzig, Az. 14 C 68/23 v. 05.10.2023 .
Die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB führt dazu, dass Geschädigte dazu gehalten sein können ein derartiges Angebot selbst dann in Anspruch zu nehmen, wenn es auf einem Sondertarif beruht, der ohne Mithilfe des Versicherers nicht zur Verfügung gestanden hätte. Hat ein Versicherer mit einem Autovermieter einen Sondertarif vereinbart, muss der Geschädigte diesen nur berücksichtigen, wenn er ihm bereits bekannt und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse auch zugänglich ist (BGH, Urt. v. 12.02.2019, Az. VI ZR 141/18). Hinzu kommt, dass ein alternatives Mietwagenangebot nur dann als hinreichend konkret und verbindlich betrachtet werden kann, wenn dies mit einer konkreten Kostenzusage verbunden ist (LG Schweinfurt, Urt. v. 15.07.2024 Az. 32 S 15/23; AG Koblenz, Urt. v. 20.01.2022, Az. 152 C 1479/21).
Weist der Versicherer dem Geschädigten einen günstigeren Tarif erst nach, nachdem dieser bereits eine anderweitige Anmietung vorgenommen hat, ist dieser nur zu einem Wechsel verpflichtet, wenn der damit verbundene Aufwand nicht unverhältnismäßig und dem Geschädigten zumutbar ist (AG Arnsberg, Urt. v. 11.01.2021, Az. 241/20; BGH; Beschl. v. 13.02.2009, Az. VI ZR 134/08).
Entscheidend ist, dass etwaige Direktvermittlungsangebote eines Versicherers konkret und nachvollziehbar erfolgen (LG Bonn, Urt. v. 26.02.2021, Az. 3 O 124/20). Weist ein Versicherer lediglich mittels eines Informationsblattes auf kW-Gruppen bezogene Mietwagenpreise hin, ist dies für die Schadensminderungspflicht irrelevant (AG Emmendingen, Urt. v. 11.11.2020, Az. 7 C 33/20). Wenn ein Geschädigter sich nach einem Unfall für die Inanspruchnahme eines Mietwagens entscheidet, hat er auch dann Anspruch auf den Ersatz der Mietwagenkosten, wenn er sich kein Ersatzahrzeug kauft. Entscheidend ist, dass ein Nutzungswille besteht (OLG Oldenburg, Urt. v. 21.09.2023, Az, 1 U 173/22; AG Bochum, Urt. v. 19.11.2020, Az. 45 C 139/20).
Verzichtet der Geschädigte auf ein Mietfahrzeug, hat er Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls. Die Höhe des Nutzungsausfalls hängt vom Typ des beschädigten Fahrzeugs ab. Je hochwertiger ein Fahrzeug ist, desto höher ist auch der Ersatzanspruch. Die Höhe der Mietwagenkosten oder des Nutzungsausfalls ist häufig strittig, insbesondere, wenn es um die Erstattungsfähigkeit der Mietwagenkosten für ein Luxusfahrzeug geht. Dem OLG Celle zufolge (Urt. v. 25.11.2020, Az. 14 U 93/2), soll es einem Geschädigten zugemutet werden können, „für kurze Zeit hier elf Tage – auf eine Luxusausstattung, das Prestige und/oder die besondere Fahrfreude eines Sportwagens zu verzichten, wenn ein typengleiches Fahrzeug nur für eine besonders hohe Miete erhältlich ist (hier das Vierfache des Tagespreises für ein Fahrzeug der höchsten Klassen nach den Schwacke- und Fraunhofer-Listen).“
Ungeachtet dessen dürfen „der Versuch, auf dem Mietwagenmarkt Geld zu verdienen, und das Interesse der Versicherungen, Mietwagenkosten zu vernünftigen Preisen abzurechnen, … nicht dazu führen, die Grundsätze des Schadensersatzrechts auf den Kopf zu stellen und dem Geschädigten im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht mehr Pflichten als dem Schädiger aufzuerlegen“ (AG Oberkirch, Urt. v. 23. Februar 2021, Az. 1 C 100/20).
Achtung!
Dem Bundesverband der Autovermieter Deutschlands zufolge, behaupten Versicherer immer wieder Direktvermittlungsangebote, die es nie gegeben hat. (Kommentar zum Urteil des AG Marienberg v. 16.02.2022, Az. 4 C 351/21).
Über welchen Zeitraum sind Mietwagenkosten zu erstatten?
Die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs sind für die Dauer der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs zu erstatten (z.B. AG Köln, Urt. v. 25.05.2021, Az. 263 C 205/20). Verzögerungen bei der Reparatur, die vom Geschädigten nicht zu vertreten sind, z.B. weil bei der Ersatzteilbeschaffung Schwierigkeiten aufgetreten sind, gehen zu Lasten des Schädigers (OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.2021, Az. I-1 U 77/20; AG Lübeck, Urt. v. 15.01.2021, Az. 17 O 345/19).
Wenn sich der Zeitraum der Inanspruchnahme eines Mietwagens verzögert, weil der Versicherer – völlig zu Recht – zunächst die Haftung, d.h. seine Einstandspflicht prüft, hat er die Mietwagenkosten auch für diesen Zeitraum zu erstatten (AG Halle(/Saale Urt. v. 23.08.2022, Az. 97 C 509/22).
Unter bestimmten Voraussetzungen sind die Mietwagenkosten auch dann noch zu erstatten, wenn die Reparatur bereits abgeschlossen und das Fahrzeug abholbereit ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich der Geschädigte in einem bereits seit langem geplanten und gebuchten Urlaub befindet. Wurde die Reparatur erst Urlaubsanritt beendet, sind die Mietwagenkosten für die gesamte Urlaubszeit zu erstatten (AG Berlin Mitte, Urt. v. 03.05.2021, Az. 133 C 221/20 V).
“Abgeschlossen” war eine Reparatur – in einem vom Amtsgericht Buxtehude entschiedenen Sachverhalt – auch, nachdem sich während der Reparatur ein größerer Schadensumfang herausstellte, als ursprünglich angenommen. Die Reparatur wurde daher abgebrochen und der (gewerbliche) Geschädigte suchte und fand ein entsprechendes Ersatzfahrzeug, das er anschließend in Firmenfarbe folieren lies. Dieser Vorgang dauerte insgesamt 53 Tage, während derer der Geschädigte nachweislich ununterbrochen betrieblich auf ein Fahrzeug angewiesen war. Da kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht festgestellt werden konnte, verurteilte das Gericht den Versicherer des Unfallverursachers u.a. zum Ersatz der Mietwagenkosten für 53 Tage (AG Buxtehude, Urt. v. 15.07.2022, Az. 31 C 64/22).
Was gilt bei Verletzungen des Unfallopfers?
Ist ein Geschädigter verletzt, kann er aber dennoch Auto fahren, sind die Kosten der Anmietung zu erstatten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der – trotz seiner Verletzung – kein Schmerzensgeld gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer geltend gemacht hat (AG Köln, Urt. v. 18.05.2021, Az. 267 C 216/20).
Geschädigte müssen grundsätzlich nicht in Vorlage treten
Kann ein Geschädigter den Schaden nicht vorfinanzieren, muss er weder ein Darlehen auf- noch eine etwa bestehende Kaskoversicherung in Anspruch nehmen (siehe: Geschädigte müssen nicht die eigene Vollkaskoversicherung einschalten!; Ist der Geschädigte verpflichtet die Reparatur vorzufinanzieren?)
Um sicher zu gehen, sollte er allerdings grundsätzlich den entschädigungspflichtigen Versicherer entsprechend informieren. Ist dies erfolgt und bleibt der Versicherer untätig, muss er die Mietwagenkosten selbst dann erstatten, wenn sie den Wiederbeschaffungswert erheblich übersteigen (z.B. LG Aschaffenburg, Urt. v. 20.05.2022, Az. 32 O 68/21; LG Stade, Urt. v. 26.09.2019, Az. 2 O 202/18).
Übrigens
Einem Urteil des AG Gifhorn vom 04.02.2021, Az. 33 C 232/20 (V) zufolge, hat der eintrittspflichtige Versicherer auch den Schaden zu ersetzen der dadurch entsteht, dass der Zentralruf der Autoversicherer zunächst einen falschen Versicherer benannt hat. Allerdings darf der Geschädigte seinerseits nicht gegen die ihm obliegende Schadenminderungspflicht verstoßen haben.