In einigen Bereichen ist es schon lange Standard, dass Desinfektionskosten zu ersetzen sind, wenn sie auf einen erstattungspflichtigen Unfall zurückzuführen sind. Keine Diskussion gibt es z.B. bei der Rückgabe von Spezialfahrzeugen (Krankenwagen), wenn diese als Unfallersatzfahrzeug angemietet werden mussten (LG Kleve, Urt. v. 03.05.2017, Az. 2 O 59/15).
Dies hindert Prüfdienstleister indes nicht daran, diese Position systematisch aus den Rechnungen zu streichen und zu behaupten, Händewaschen würde reichen und eine Desinfektion sei nicht erforderlich.
Die Behauptung der Prüfdienstleister ist unhaltbar
Aber auch wenn sich kein Sonderrisiko feststellen lasse, seien die Prämien für eine Haftungsfreistellung in der Regel ein zu ersetzender Folgeschaden!
Z.B. das AG Nördlingen (Urt. v. 21.03.2022, Az. 19 C 334/22) hat dies – unter Bezugnahme auf die eindeutige Stellungnahme des Robert Koch Instituts – auf den Punkt gebracht. Demnach ist Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen ist insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen, da vermehrungsfähige SARS-CoV-2-Viren unter Laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben.
Zudem steht die Behauptung in klarem Widerspruch zu der gemeinsamen Studie des Allianz Zentrums für Technik (AZT), des Zentralverbands Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) sowie der Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL e.V.).
Die Rechtsprechung war überwiegend eindeutig!
Das AG Heinsberg hat in einem Urteil vom 04.09.2020 (Az. 18 C 161/20) unmissverständlich klargestellt: Es sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig.
Dies gilt sowohl im Haftpflicht- als auch im Kaskoschadenfall (vgl. AG Aachen, Urt. v. 25.11.2020, Az.: 116 C 123/20; AG Siegburg, Urt. v. 19.11.2020, Az. 107 C 82/20; AG Neumünster, Urt. v. 19.08.2021, Az. 36 C 531/21. Ausführungen wie „Die Kosten dienen weder der Wiederherstellung des beschädigten Fahrzeugs noch sind sie durch das Unfallereignis verursacht worden“ (AG Aachen, Urt. v. 28.01.2021, Az. 110 C 161/20) ändern daran nichts.
Ausführlich hat das AG Frankenthal (Urt. v.12.04.2021, Az. 3a C 253/20) dargelegt, dass die Desinfektionskosten zu den erforderlichen Aufwendungen bei der Fahrzeuginstandsetzung zählen. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „In diesem Zusammenhang wird auf die Hinweise des Robert-Koch-Instituts verwiesen, wonach „eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen (…) insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen sei, da vermehrungsfähige SARS-COV-2-Viren unter Laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben“. Da im Rahmen der Reparatur das Fahrzeug des Geschädigten durch Dritte berührt wird, stellt die Desinfektion eine durchaus erforderliche Maßnahme dar, Corona-Viren auf den vermeintlich kontaminierten Oberflächen des Fahrzeuges unschädlich zu machen. Dabei gewährleistet das bloße Tragen von Schutzbekleidung keinen ausreichenden Schutz vor dem hochinfektiösen Corona-Virus“ (s.a. LG Köln, Urt. v. 09.02.2022, Az. S 91/21)
Abgesehen davon, dass selbst die Versicherungswirtschaft von der Notwendigkeit einer Desinfektion ausgeht, kann der Kunde einer Werkstatt erwarten „dass er ein sauberes, infektionsfreies Fahrzeug zurückerhält, sodass in diesen Zeiten eine Desinfektion nötig ist“ (LG Coburg, Urt. v. 28.05.2021, Az. 33 S 10/21; s.a. AG Hameln, Urt. v. 22.03.2022, Az. 35 C 97/21).
Das LG Stuttgart schließt sich dem an und konstatiert (Urt. v. 21.07.2021, Az. 13 S 25/21), ein Geschädigter dürfe in Zeiten der Corona-Pandemie „eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen vor Abholung des Fahrzeugs erwarten. Unabhängig davon, ob ein nennenswertes Risiko einer Schmierinfektion über Kontaktflächen objektiv besteht, wäre es für den Geschädigten eine über die bloße Lästigkeit hinausgehende Beeinträchtigung, wenn er das Fahrzeug ohne solche Maßnahmen entgegennehmen müsste.“ Im gleichen Sinn hat auch das AG Bautzen, geurteilt, dass „Der Schädiger eines Verkehrsunfalls verpflichtet (ist) die Kosten einer Fahrzeugdesinfektion zu ersetzen, die die Werkstatt zur Vorbeugung gegen eine Coronainfektion nach der Erledigung des Reparaturauftrags vornimmt“ Urt. v. 16.09.2021, Az. 21 C 570/20 (Downloadlink); AG Aalen, Urt. v. 23.12.2021, Az. 11 C 481/21 m.w.N.; AG Böblingen, Urt. v. 15.12.2021, Az. 1 C 529/21.
Exorbitante, das vernünftige Maß übersteigende Kosten (hier: 232,40 Euro) müssen zwar nicht erstattet werden (AG Heilbronn, Urt. v. 01.06.2021, Az. 11 C 43/21), auch wenn sie ansonsten nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos zu den erstattungspflichtigen Positionen zählen (AG Schweinfurt, Urt. v. 11.10.2021, Az. 3 C 513/21; AG München, Urt. v. 06.08.2021, Az. 322 C 7536/21; AG Vaihingen Urt. v. 29.06.2021, Az. 1 C 129/21). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Angemessenheit durch die Ortsüblichkeit indiziert ist (AG Lünen, Urt. v. 24.02.2022, Az. 3 C 836/21)
Dies ändert indes nichts daran, dass Desinfektionsmaßnahmen während der Corona-Pandemie aus technischer Sicht eben auch nach der Reparatur erforderlich sind, um die Kunden einer Werkstatt vor den während der Reparatur möglicherweise eingetretenen Kontaminationen zu schützen (z.B. AG Hanau, Urt. v. 02.07.2021, Az. 39 C 225/20). Hinzu kommt der Aspekt, dass auch Kfz-Werkstätten ordnungsbehördlich überwachten Auflagen, wie der Desinfektion von Kundenfahrzeugen, unterliegen (AG Frankenthal, Urt. v. 12.04.2021, Az. 3a C 253/20). Und da der Innenraum des Fahrzeugs zur Privatsphäre des Fahrers gehört, kann er in Zeiten dieser ansteckenden Infektionskrankheit verlangen, dass ihm das Fahrzeug desinfiziert übergeben wird (AG Nettetal, Urt. v. 27.01.2022, Az. 9 C 150/21).
Das Urteil des AG Pinneberg v. 03.03.2021, Az. 62 C 86/20, demzufolge die Kosten der Desinfektion auch bei fiktiver Abrechnung zu ersetzen seien, kam daher wenig überraschend.
Wer meint, Desinfektionskosten seien den Gemeinkosten zuzurechnen (z.B. AG Dessau-Roßlau, Urt. v. 16.02.2022, Az. 4 C 316/21; LG Saarbrücken, Urt. v. 08.04.2022, Az. 13 S 103/21) übersieht, dass es schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus selbstverständlich erscheint, wenn eine Kfz-Werkstatt – die als gewinnorientiertes Unternehmen betrieben wird – den Mehraufwand und die Kosten der Desinfektionsmaßnahme an den Kunden weitergibt (AG München, Urt. v. 08.07.2021, Az. 337 C 7856/21). Dies hat auch das AG Straubing in einem Urteil vom 05.11.2020 (Az. 2 C 694/20) so gesehen, als es einen Vergleich zu den Kosten der vorgeschriebenen Desinfektion in der bayerischen Gastronomie gezogen hatte. Dem beklagten Versicherer schrieb es dabei ins Stammbuch es sei keinesfalls so, „dass Arbeitsschutzmaßnahmen nicht auf den Kunden umgelegt werden dürfen. Ein Rechtssatz nachdem der Unternehmer Arbeitsschutzmaßnahmen aus seinem Unternehmerlohn zahlen müsse ist nicht vorhanden. Vielmehr können derartige Maßnahmen durch Erhöhung des Stundenlohns geschehen oder eben durch die Erhebung einer Pauschale.“ Es ist und bleibt eben Sache der Werkstatt , ob diese die abgrenzbaren Desinfektionsaufwand als Gemeinkosten behandelt und in Gestalt höherer Verrechnungssätze umlegt oder besonders abrechnet (AG Leipzig, Urt. v. 08.12.2021, Az. 113C 897/21, m.w.N.).
Unmissverständlich hat das LG Coburg (Urt. v. 28.05.2021, Az. 32 S 7/21) konstatiert, dass Desinfektionskosten schon deshalb Teil der infolge des Unfalls in Auftrag gegebenen Reparatur sind weil sie nicht angefallen wären, wenn das Fahrzeug nicht in der Zeit der Corona-Pandemie beschädigt worden wäre. Auch deshalb „handelt sich nicht um mit dem Grundhonorar abgegoltene allgemeine Unkosten des Betriebs, sondern aufgrund von Corona angefallene, nicht nur geringfügige besondere Kosten. Es liegt weder eine zufällige Verbindung vor noch ein Fall der höheren Gewalt.“
Ebenso unmissverständlich hat das AG Coburg mit einem Beschluss vom 16.03.2022 (Az. 15 C 400/22) dem regulierungspflichtigen Versicherer aufgegeben, dass Desinfektionskosten, die bereits im Schadensgutachten beziffert und daher auch in dem – gemäß Gutachten – erteilten Reparaturauftrag enthalten sind, vom Versicherer ausgeglichen werden müssen (s.a. LG Aachen, Urt. v. 21.10.2021, Az. 4 O 63/21). Auch der BGH hatte hinsichtlich der Berechnung der Corona Desinfektionspauschale keinerlei grundsätzliche Bedenken (Urt. v. 13.12.2022 (Az. VI ZR 324/21).
Zur Berechnung der Desinfektionskosten durch einen Unternehmer (Kfz-Sachverständiger) hat der BGH (Urt. v. 13.12.2022, Az. VI ZR 324/21) wörtlich ausgeführt:
“Ebenso wie die Wahl seines individuellen Hygienekonzepts selbst steht auch die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die hierfür anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten der Arbeitssicherung in die Kalkulation des Grundhonorars “eingepreist” werden, grundsätzlich dem Sachverständigen als Unternehmer zu.”
Das AG Coburg ändert die Richtung!
Zwei Verfügungen des AG Coburg zufolge, soll “aufgrund der aktuellen Entwicklung der Pandemie sowie des gesellschaftlichen Verhaltens seit dem Sommer 2022 keine Erforderlichkeit für erhöhte Hygienemaßnahmen mehr (bestehen), sodass keine Erstattungspflicht mehr besteht” (AG Coburg, Verfügungen v. 14.12.2022, Az. 12 C 3798/22; v. 08.12.2022, Az. 14 C 4568/22).