Die Lückenrechtsprechung betrifft das Überholen von Kolonnen. In den so genannten Lückenfällen muss derjenige, der eine Fahrzeugkolonne überholt, die eine Lücke gelassen hat, grundsätzlich damit rechnen, dass ein anderes Fahrzeug aus dieser Lücke in seine Fahrspur einfährt.
Wer eine Kolonne überholt, muss bei einer sich öffnenden Lücke wegen des dann häufig zu erwartenden Querverkehrs besonders vorsichtig und rücksichtsvoll fahren und darf nicht auf die eigenen Vorfahrt vertrauen.
Vielmehr sei der Überholende dazu gehalten, besondere Rücksicht auf etwaig Einfahrende zu nehmen (z.B. OLG Köln, Beschl. v. 19.08.2014, Az. I-19 U 30/14; OLG Frankfurt, Urt. v. 25.11.2005, Az. 24 U 138/05; OLG Hamm, Urt. v. 24.09.1991, Az. 9 U 9/91).
Auch bei gut sichtbaren Grundstücksausfahrten, bei denen mit erhöhtem An- und Abfahrtsverkehr zu rechnen ist, viel dafür, die – für die Sorgfaltsanforderungen bei der Vorbeifahrt an Fahrzeugkolonnen entwickelte – sog. Lückenfallrechtsprechung anzuwenden (z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 26.10.2018, Az. 7 U 56/18).
Der BGH hatte am 04.06.2024 darüber zu entscheiden, ob die Lückenrechtsprechung auch dann anzuwenden ist, wenn ein in zweiter Reihe abgestelltes Fahrzeug überholt werden soll
Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass “die Pflicht, beim Überholen einer Kolonne im Falle einer sich auftuenden Lücke wegen des dann häufig zu gewärtigenden Querverkehrs besonders besonnen und rücksichtsvoll zu fahren und nicht auf die Einhaltung der eigenen Vorfahrt zu vertrauen (sog. Lückenrechtsprechung), … nicht im Fall des bloßen Vorbeifahrens an einem in zweiter Reihe vor einer Grundstückseinfahrt stehenden Lkw besteht” (Az. VI ZR 374/23).