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Alleinrennen / Rennen gegen sich selbst

Informationen
27.06.2024

§ 315 d StGB erfasst nicht nur Rennen zwischen mehreren Fahrzeugen, sondern auch das sogenannte „Rennen gegen sich selbst“.

 

In § 315 d Abs. 1 Ziff. 3 StGB heißt es wörtlich: „…sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“.

 

Die Formulierung ist dem Umstand geschuldet, dass der klassische Rennbegriff zwar Gruppen, nicht aber einzelne Fahrer erfasst. Der grundlegenden Bundestagsdrucksache 18/12964, S. 3 zufolge, würden aber nicht Rennen, sondern „einzelne Raser, die gerade kein Rennen in einer Gruppe durchführen“ an der Spitze der Statistiken über die häufigsten Todesursachen stehen. Es daher erforderlich gewesen auch die Sachverhalte zu erfassen, „in denen nur ein einzelnes Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstelle“ (s.a. BGH, Beschl. v. 17.02.2021, Az. 4 StR 225/2).

 

Verschiedene Gerichte vertreten dabei die Auffassung, dass der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB – namentlich das subjektive Merkmal der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ – kein „volles Ausreizen“ eines Kraftahrzeugs erfordert (z.B. KG Berlin vom 15.04.2019 – Az. 3 Ss 25/19 und 161 Ss 36/19). Wie weit die Auslegung der Tatbestandsmerkmale gehen kann, haben u.a. Urteile des Amtsgerichts Waldbröl (v. 14.01.2019 (Az. 40 Ds 536/18) oder des OLG Köln (v. 05.05.2020, Az. II-1 RVs 45/20) gezeigt. Demnach hat auch die Flucht vor einem Streifenwagen Renncharakter, da das Ziel, dem verfolgenden Streifenwagen zu entkommen, nur durch Wegfahren mit höchstmöglicher Geschwindigkeit erreicht werden können soll.

 

§ 315d StGB ist mit dem Grundgesetz vereinbar!

 

Als das Bundesverfassungsgericht am 09.02.2022 darüber zu entscheiden hatte , ob die Norm hinreichend klar formuliert und mit dem Grundgesetz vereinbar sei, kam es zu einem klaren Ergebnis (Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 09.02.2022, Az. 2 BvL 1/20).

 

Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der höchstmöglichen Geschwindigkeit, konstatierte das Gericht zwar eine gesetzgeberische Fehlleistung. Konkret heißt es dazu „Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, deutlich zu machen, zu welchem Zeitpunkt die objektiven und subjektiven Merkmale eines Tatbestands erfüllt sein müssten, um eine Strafbarkeit anzunehmen. Es finde sich umgekehrt im Normwortlaut kein Anhaltspunkt dafür, dass sich der Vorsatz auf alle höchstmöglichen Geschwindigkeiten beziehen müsse. Hiergegen spreche, dass „höchstmögliche Geschwindigkeit“ im Singular verwendet werde. Außerdem finde diejenige Auffassung keinerlei Anhalt im Wortlaut der Norm, wonach die Fahrt einen Renncharakter haben müsse. Das vorliegende subjektive Tatbestandsmerkmal beziehe sich nach seinem Wortlaut allein auf die höchstmögliche Fahrgeschwindigkeit. Rennen charakterisierten sich zwar auch, aber nicht nur durch eine hohe Geschwindigkeit. Vielmehr trete hier ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Beteiligten mit eigenständigen Risiken und Dynamiken hinzu, wobei im Einzelfall das Erreichen der Maximalgeschwindigkeit nicht erforderlich sei. Über die Geschwindigkeit hinausgehende Renncharakteristika fänden im Wortlaut der Norm keine Anknüpfung. Soweit also die Gerichte im Rahmen ihrer Subsumtion unter das vorliegende Tatbestandsmerkmal aggressives Fahrverhalten über die Geschwindigkeit hinaus berücksichtigten, überschritten sie die Wortlautgrenze und korrigierten im Widerspruch zum Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG eine gesetzgeberische Fehlleistung. Es wäre dem Gesetzgeber schließlich jederzeit möglich gewesen, das vorliegende Tatbestandsmerkmal durch das Tatbestandsmerkmal „um ein Rennen nachzustellen“ oder durch „wobei die Fahrt mit Renncharakter erfolgen muss“ zu ersetzen.“

 

Zu den Tatbestandsmerkmalen der groben Verkehrswidrigkeit sowie des rücksichtslosen Verhaltens heißt es:

 

 

 

„Er fördert die legitimen Gemeinwohlzwecke der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie des Schutzes des Lebens, der körperlichen Integrität und des Eigentums. Die Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt als Strafnorm grundsätzlich ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen im Straßenverkehr den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern kann. Sie ist auch erforderlich, um das legitime Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen mit gleichem Wirkungsgrad, wie Regelungen im Ordnungswidrigkeitenrecht, die vor der Gesetzesinitiative bereits bei Mehrpersonenrennen nicht zu ausreichender Abschreckung geführt hatten, sind – auch vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Ermessensspielraums (vgl. BVerfGE 90, 145 <172 f.>; 120, 224 <240>; 153, 182 <268 Rn. 224>) – nicht ersichtlich. Die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit ist zudem angemessen. Die Belange des Gemeinschaftsschutzes überwiegen hier die Auswirkungen der Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auf die allgemeine Handlungsfreiheit. Der hohe verfassungsrechtliche Rang des Rechtsguts Leben, welches die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auch über das Rechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs schützen will, legitimiert auch die Strafbarkeit einer abstrakten Gefahr (vgl. dazu m.w.N. BVerfGE 153, 182 <284 ff. Rn. 270 ff.>). Dahinter muss das Interesse, sich unter Verletzung der Straßenverkehrsordnung sowie der Missachtung von Rücksichtnahmepflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern mit höchstmöglicher Geschwindigkeit fortbewegen zu wollen, zurücktreten.“ 

 

Was die erforderliche Gefährdung betrifft, sei auf einen Beschluss des Kammergerichts hingewiesen (Az. 3 ORs 16/24 – 161 SRs 4/24, 161 SRs 4/24, 3 ORs 16/24 v. 01.03.2024)

Dem Gericht zufolge, entsprechen die Anforderungen an die erforderliche Qualifikation der konkreten denjenigen des § 315b und § 315c StGB. Demzufolge liegt eine konkrete Gefährdung vor, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Notwendig ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (vgl. BGH NStZ 2023, 415).

Dazu reicht es nicht, wenn die vorgeblich beteiligten Fahrzeugführer bis zum Stillstand abbremsen mussten und deren Fahrzeuge nebeneinander zum Stehen kommen. Ein derart geschildertes Verkehrsgeschehen kann nicht ohne Weiteres als „Beinaheunfall“ eingestuft werden.

 

Wie weit muss der Vorsatz gehen?

Hinsichtlich des Gefährdungsvorsatzes ist erforderlich, dass der Täter “über die allgemeine Gefährlichkeit des Alleinrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfindet”. Wie konkret die Vorstellung des Täters sein muss und in welchem Umfang das Tatgericht dazu Feststellungen treffen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. (BGH, Urt. v. 18.08.2022, Az. 4 StR 377/21).

 

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Dr. Wolf-Henning Hammer

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