LG Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2023, Az. 13 S 109/22
Nicht so sicher ist, ob die Kaskoversicherung den Schaden dann auch bezahlt oder bezahlen will. Denn gemäß Ziffer A.2.2.1.5 der Musterbedingungen für die Kaskoversicherung, die viele Versicherer ganz oder teilweise übernommenen haben, deckt die Kaskoversicherung nicht jeden, sondern nur Bruchschäden an der Verglasung des Fahrzeugs ab.
Als Verglasung gelten Glas- und Kunststoffscheiben (z. B. Front-, Heck-, Dach-, Seiten- und Trennscheiben), Spiegelglas und Abdeckungen von Leuchten. Nicht zur Verglasung zählen Glas- und Kunststoffteile von Mess-, Assistenz-, Kamera- und Informationssystemen, Solarmodule, Displays, Monitore sowie Leuchtmittel.
Das Landgericht Saarbrücken hatte zu entscheiden, ob Einschnitte, Risse oder Sprünge in der Windschutzscheibe Brüche im Sinne der Versicherungsbedingungen sind und was bei Trübungen und oberflächlichen Beschädigungen an Fahrzeugscheiben gilt.
Zunächst hatte das Gericht zu klären, wie „ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer den Begriff bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen.“
Was unter einem „Bruch“ der Verglasung zu verstehen ist, richtet sich daher weniger nach dem vom Versicherer verfolgten Zweck, sondern nach den berechtigten Vorstellungen des Versicherungsnehmers. Die Vorstellungen und der vom Versicherer verfolgte Zweck bleiben zwar nicht völlig außen vor. Da es aber vorrangig auf das Verständnis des Versicherungsnehmers ankommt, sind diese aber nur ergänzend und in dem Umfang zu berücksichtigen, wie sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.01.2022, Az. IV ZR 144/21, Urt. v. 09.11.2022, Az. IV ZR 62/22).
Das Gericht hat es sich mit der Entscheidungsfindung nicht leicht gemacht und sich vermutlich zunächst intensiv mit der sprachlichen Bedeutung des Begriffes „Bruch“ auseinandergesetzt.
Jedenfalls war es zu dem Ergebnis gekommen, der Begriff „Bruch“ setze nicht voraus, dass eine Scheibe zerbrochen sein muss. Dem allgemeinen Sprachgebrauch zufolge, würde der Begriff „Glasbruch“ auch Einschnitte, Risse oder Sprünge in Scheiben erfassen.
Bei Kratzern und Trübungen auf der Oberfläche des Glases sei dies nicht der Fall; zumindest nicht im Sinne der Klausel A.2.2.1.5 S. 1 AKB 2015 (z.B. OLG Brandenburg, Urt. v. 28.02.2020, Az. 11 U 103/19). Auch rein oberflächliche Beschädigungen an Fahrzeugscheiben seien keine Brüche im Sinne der Versicherungsbedingungen. Dies soll zumindest dann gelten, „wenn sie ersichtlich keine Auswirkung auf die Verkehrssicherheit haben und ein Austausch der Scheibe in erster Linie aus kosmetischen Gründen erfolgen würde.“
Im Umkehrschluss können daher selbst – für sich betrachtet – minimale Beschädigungen oder Beeinträchtigungen als Glasbruch im Sinne der Versicherungsbedingungen gewertet werden, sofern sie – in ihrer Gesamtheit – negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben.
In den Urteilsgründen liest sich das wie folgt:
„Die streitgegenständliche Windschutzscheibe (war) durch zahlreiche Steinschläge, darunter 4-5 mindestens 5 mm breite und entsprechend vertiefte, teils mit Schmutz gefüllte Ausbrechungen, beschädigt. Auch wenn daraus zwar noch kein sichtbarer Riss entstanden war und sich auch nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren ließ, dass ein solcher Riss zeitlich unmittelbar drohte, lagen damit mehrere – wenngleich geringfügige – Aus“brüche“ am Glas vor.
Die Anzahl der Steinschläge, deren Intensität sowie deren Verortung im Sichtfeld des Fahrers ließen zudem erkennen, dass die Verkehrssicherheit nicht unerheblich beeinträchtigt und eine Beanstandung im Rahmen der Hauptuntersuchung nicht ausgeschlossen war. Vor diesem Hintergrund diente der Austausch der Scheibe nicht mehr (allein) kosmetischen Gründen, sondern war unter dem Gesichtspunkt der eingeschränkten Verkehrssicherheit angezeigt, zumindest aber aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers vernünftig, zumal eine Reparatur von Steinschlägen im Sichtfeld des Fahrers mit § 40 Abs. 1 StVZO nicht in Einklang zu bringen ist. Er durfte daher davon ausgehen, dass eine solche, in der Summe und Intensität der Steinschläge nicht mehr nur oberflächliche Beschädigung der Scheibe als Glasbruch i.S.d. AKB einzuordnen ist.“
Die Entscheidung zeigt: Anders als in der Haftpflichtversicherung, bei der die gesetzlichen Rahmenbedingungen den Rahmen des Schadenersatzanspruchs vorgeben, sind bei der Kaskoversicherung die Versicherungsbedingungen entscheidend. Da es „die“ Versicherungsbedingungen aber nicht gibt, ist auf die – dem jeweiligen Vertrag zugrundeliegende – Fassung zu achten. Schließlich kann es passieren, dass auch Sachbearbeiter diese nicht beachtet haben und einen Ersatzanspruch ablehnen, obgleich er eigentlich gerechtfertigt ist.
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