Auch in Zeiten des Internets und der Fahrzeugbörsen ist der Autokauf für viele Menschen immer noch ein besonderes, mit Emotionen beladenes Ereignis. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht um ein Gebrauchtfahrzeug, sondern ein sorgsam konfiguriertes Neufahrzeug gekauft werden soll. Wenn das Objekt der Begierde dann auch noch kurzfristig verfügbar ist, z.B., weil es vom Hersteller bereits „auf Halde“ produziert wurde oder im Wege eines Reimports beschafft werden kann, ist die Freude umso größer. Allerdings kommt es gerade in solchen Konstellationen immer wieder zu Streit darüber, ob das gelieferte Fahrzeug auch tatsächlich als fabrikneu gelten kann.
Die Rechtsprechung stuft ein unbenutztes Kraftfahrzeug regelmäßig dann noch als „fabrikneu“ ein, wenn und solange das entsprechende Modell unverändert weitergebaut wird, das konkrete Fahrzeug keine standzeitbedingten Mängel aufweist und der Zeitraum zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate beträgt (z.B. OLG Hamm, Urt. v. 16.08.2016, Az. I-28 U 140/15; BGH, Urt. v. 29.06.2016, Az. VIII ZR 191/15; OLG Bamberg, Beschl. v. 06.03.2012. Az. 6 U 6/12; Urt. LG Köln, Urt. v. 20.01.2011, Az. 8 O 338/10; BGH, Urt. v. 15.10.2003, Az. VIII ZR 227/02; BGH, Urt. v. 06.02.1980, Az. VIII ZR 275/78). Dies soll auch für Re-Importfahrzeuge gelten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2005, Az. I-1 U 84/05). Allerdings handelt es sich bei der Zwölfmonatsfrist nicht um eine „taggenau einzuhaltende, starre Ausschlussfrist“ (OLG Frankfurt/M, Urt. v. 03.08.2021, Az. 3 O 71/19).
Um als fabrikneu zu gelten, muss das Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer unbenutzt und unbeschädigt sein, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist (BGH, Urt. v. 06.02.2013, Az. VIII ZR 374/11. Die Eigenschaft „fabrikneu“ wird daher auch weder durch eine Tages- noch eine Kurzzeitzulassung beeinträchtigt. Wie der BGH mit Urteil vom 12.01.2005, Az. VIII ZR 109/04 festgestellt hat, sei „mittlerweile allgemein bekannt, was eine Tages- oder Kurzzulassung bedeute; entscheidend sei allein, dass das Fahrzeug nicht gefahren, also vom Händler in keiner Weise, insbesondere nicht als Vorführwagen, genutzt worden und deshalb technisch ohnehin ein Neuwagen sei“ (s.a. OLG Köln, Beschl. v. 23.11.2009, Az. 19 U 115/09). Dass ein PKW, der fast 23 Monate vor dem Kauf, hergestellt wurde, nicht mehr als Neuwagen eingestuft werden kann, dürfte indes nicht verwundern. Schließlich unterliegt er während dieses Zeitraums zwangsläufig nicht nur einem gewissen Alterungsprozess, sondern erleidet nach der Verkehrsanschauung zudem eine Werteinbuße. Dies gilt selbst dann, wenn er während dieser Zeit nicht benutzt wird (OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschl. v. 08. 01.2007, Az. 15 U 71/06; s.a. BGH, Urt. v. 15.10.2003, Az. VIII ZR 227/02).
Unerhebliche, bereits im Werk behobene Schäden beeinträchtigen die Eigenschaft als Neuwagen nicht. Entscheidend ist, dass die Schäden nicht mit einer Wertminderung verbunden sind, die dazu führen, dass das Fahrzeug als Unfallfahrzeug zu betrachten ist (LG Bonn, Urt. v. 26.09.2006, Az. 3 O 372/05).
Überführungskilometer können dazu führen, dass ein PKW zum Zeitpunkt der Übergabe nicht mehr als „fabrikneu“ gilt. Aber auch hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. War die Überführung des Fahrzeugs auf eigener Achse vereinbart, ist die darauf zurückzuführende Laufleistung für die Eigenschaft als Neuwagen unerheblich (OLG Dresden, Urt. v. 04.10.2006, Az. 8 U 1462/06; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.12.2006, Az. I-1 U 55/06). Während das OLG Stuttgart die Grenze einer unschädlichen Laufleistung bei einer Überführung bei 1000 km angesetzt hat (Urt. v. 28.06.2000, Az. 4 U 53/00), hat das OLG Hamm in einem älteren Sachverhalt, bei dem das Fahrzeug von einem nicht autorisierten Firmenhändler erworben worden war, selbst eine Laufleistung von 1700 km als für die Neuwageneigenschaft unschädlich angesehen (Urt. v. 18.12.1992, Az. 19 U 57/92).
Bei unverschlossen präsentierten Ausstellungsfahrzeugen kann die Neuwageneigenschaft jedoch entfallen, da sie „von einer unbestimmten Anzahl von Personen innen und außen angefasst, Türen und Kofferraum … vielfach geöffnet (werden), es wird probegesessen, Sitze werden verstellt etc. Ein Ausstellungsfahrzeug in einer Niederlassung eines Automobilherstellers unterliegt somit einer wiederholten körperlichen Nutzung und ist daher nach Überzeugung des Gerichts nicht mehr ungenutzt.“ (Amtsgericht München, Urt. v. 17.12.2021, Az. 271 C 8389/21).
Wie die obigen Ausführungen zeigen, kann auch der Kauf eines Neufahrzeugs etliche Fallstricke bereithalten. Überraschungen lassen sich am besten vermeiden, wenn die Einzelheiten des Kaufs bereits vor Abschluss des Vertrages umfassend besprochen und vertraglich fixiert werden. Sinnvoll ist dies allemal, insbesondere in Hinblick auf die verschärften Bestimmungen des Kauf- und Gewährleistungsrechts.
Bildnachweis: Pixabay/Jan2575