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Versicherer verlangt vom Sachverständigen Schadensersatz

Dass Versicherer bei der Schadensregulierung regelmäßig einen Grund finden, um Schadenspositionen zu kürzen, ist hinlänglich bekannt. Dass Geschädigte gegen unberechtigte Kürzungen vor Gericht ziehen, gehört zum Gerichtsalltag. Neu ist allerdings der Versuch eines Versicherers die damit verbundenen Zahlungen und Kosten beim Sachverständigen des Geschädigten einzuklagen. Doch hat der Versicherer überhaupt einen derartigen Anspruch? Mit dieser […]
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19.11.2020
ca. 5 Minuten
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Dass Versicherer bei der Schadensregulierung regelmäßig einen Grund finden, um Schadenspositionen zu kürzen, ist hinlänglich bekannt. Dass Geschädigte gegen unberechtigte Kürzungen vor Gericht ziehen, gehört zum Gerichtsalltag. Neu ist allerdings der Versuch eines Versicherers die damit verbundenen Zahlungen und Kosten beim Sachverständigen des Geschädigten einzuklagen. Doch hat der Versicherer überhaupt einen derartigen Anspruch? Mit dieser Frage musste sich das Amtsgericht (AG) Kassel in seinem Urteil vom 01.07.2020 (Az. 421 C 104/18) befassen.

Was war passiert?

Ein Fahrzeug wurde bei einem Unfall beschädigt. Der geschädigte Eigentümer suchte einen Sachverständigen auf, um den entstandenen Schaden begutachten zu lassen. Der Sachverständige erstellte ein Gutachten, das Reparaturkosten von 2.302,93 Euro netto und eine Wertminderung von 250,00 Euro auswies. Die Kosten für den Sachverständigen beliefen sich auf 548,23 Euro.

Der Geschädigte wandte sich mit dem Gutachten an den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners und begehrte Schadensersatz. Weil die Haftung des Unfallgegners unstreitig war, zahlte dessen Versicherer daraufhin 1.098,81 Euro sowie die geltend gemachte Wertminderung, den Nutzungsausfall und die Kostenpauschale. Nachdem der Geschädigte seinen Wagen für 2.752,78 Euro reparieren ließ, wollte er den restlichen Schaden vollständig ausgeglichen wissen. Dafür musste er jedoch vor Gericht ziehen, wo er auch die Zahlung von 2.236,79 Euro zugesprochen bekam.

Diese 2.236,79 Euro wollte der Versicherer jedoch nicht auf sich sitzen lassen. Seiner Auffassung nach hatte der vom Geschädigten hinzugezogene Sachverständige ein fehlerhaftes Gutachten erstellt. Denn statt die beschädigte Fahrzeugtür auszutauschen habe der Ansicht des Versicherers nach ein Instandsetzen genügt. Daher verklagte der Versicherer den Sachverständigen auf Erstattung.

Doch nicht nur die Kosten, die der Versicherer nach dem verlorenen Prozess an den Geschädigten gezahlt hatte, wollte er zurück haben. Er machte auch die Kosten für den gesamten Rechtsstreit mit dem Geschädigten und die Kosten für ein vom Versicherer erstelltes Privatgutachten geltend – insgesamt weitere 2.677,01 Euro. Denn ohne den vermeintlichen Fehler des Sachverständigen hätte der Geschädigte nicht geklagt und die Kosten wären nicht entstanden – so zumindest die Argumentation des Versicherers. Der Sachverständige war nicht bereit fast 5.000 Euro an den Versicherer zu zahlen und so zog der Versicherer vor Gericht.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht setzte sich mit den Argumenten des Versicherers gründlich auseinander. Dazu holte es unter anderem ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu der Frage der streitigen Reparaturpositionen ein. Zudem hörte es auch den beklagten Sachverständigen an.

Nach Auffassung des Gerichts habe der Vertrag zwischen dem Sachverständigen und dem Geschädigten zur Begutachtung des beschädigten Fahrzeugs eine Schutzwirkung zu Gunsten des Versicherers entfaltet. Allerdings hat der Sachverständige nach den in diesem Verfahren durch das Gericht getroffenen Feststellungen, jedenfalls im Kernbereich des seinerzeitigen Gutachtens, zu der Frage, ob die vordere rechte Tür zu erneuern oder Instand zu setzen ist, keine Schlechtleistung im Sinne einer fachlich unzutreffenden Begutachtung erbracht.

Davon, dass das im Streit stehende Gutachten falsch sei, konnte der Versicherer das Gericht nicht überzeugen. Es ist vielmehr vom Gegenteil überzeugt, basierend auf dem gerichtlichen Sachverständigengutachten. Zusammengefasst führte der [vom Gericht bestellte] Sachverständige hierzu aus, dass es sich vor allem im Hinblick auf das Ausmaß der Beschädigung, das Alter des Fahrzeugs und der Art des Fahrzeugteils sowie den Vergleich der Ersparnis einer möglichen Instandsetzung gegenüber einem Austausch des Teiles es sich bei diesem um den fachlich zutreffenden Reparaturweg handele.

Auch bezüglich weiterer streitiger Reparaturpositionen sah das Gericht keine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch des Versicherers, denn der Sachverständige hatte sich bei der Gutachtenerstellung nichts zu verschulden. So ist ein Verschulden auszuschließen, wenn der Sachverständige einzelne Rechnungsposten in Ansatz bringt, welche durch Gerichte hinsichtlich ihrer Ersatzfähigkeit unterschiedlich beurteilt werden.

In den Urteilsgründen heißt es dazu konkret: So verletzt der Sachverständige bereits nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er Rechnungsposten in seinem Gutachten als erforderliche Reparaturarbeiten ansetzt, die durch Gerichte mitunter zugesprochen werden. Er besitzt nicht die juristische Sachkunde, um diese Frage zutreffend zu beantworten, noch gibt es augenscheinlich eine einheitliche Rechtsprechung zu diesen Schadenspositionen.

Mit anderen Worten: Berücksichtigt der Sachverständige eine Schadensposition im Gutachten, die er für die Reparatur als erforderlich erachtet, verstößt er jedenfalls nicht gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn sich die Gerichte nicht eindeutig zu dieser Schadensposition verhalten und einige sie zusprechen. Denn dann bewegt sich der Sachverständige jedenfalls im Rahmen des ihm zuzubilligenden Ermessens.

Bezüglich der Kosten für das Verfahren mit dem Geschädigten fand das Amtsgericht klare Worte: Schäden aus einem erkennbar aussichtslosen Prozess sind nicht erstattungsfähig. Denn es ist gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, dass der Schädiger im Falle einer konkreten Schadensabrechnung aufgrund der Rechtsfigur der subjektiven Schadensbetrachtung das Prognoserisiko trägt, also das Risiko für eine falsche Beurteilung durch den Privatgutachter und das Risiko der darauf beruhenden Instandsetzung des Fahrzeugs, jedenfalls soweit der Geschädigte diese Instandsetzung tatsächlich bezahlt.

Auch kam ein Mitverschulden des Geschädigten nicht in Betracht, das bei dem vorangegangenen Verfahren eine unvollständige Zahlung gerechtfertigt hätte. Ein dem Geschädigten zuzurechnendes Mitverschulden wird lediglich dann angenommen, wenn ein solches hinsichtlich der Auswahl des Sachverständigen oder der Werkstatt vorliegt, wofür im vorangegangenen dortigen Rechtsstreit ersichtlich kein Anhalt bestand. Ausgehend von dieser gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung (…), hatte der seinerzeitige Rechtsstreit erkennbar aus Sicht der hiesigen Kläger keine Aussicht auf Erfolg. Diese Kosten hatte der Versicherer aus Sicht des Gerichts somit ohne erkennbaren Grund anfallen lassen.

Auch praktische Erwägungen finden sich in den Urteilsgründen: Ein Schadensersatzanspruch würde die Arbeit von Sachverständigen nahezu unmöglich machen. Mit jeder Entscheidung eine Schadensposition aufzunehmen, würden sie sich dem Risiko eines Schadensersatzprozesses aussetzen. So ist schlechterdings nicht vorstellbar, wie diese ihre Arbeit verrichten sollen, wenn sie bei Gutachtenerstellung stets fürchten müssen, dass hierbei Berücksichtigung eines möglicherweisen streitigen, wirtschaftlich aber gemessen an den gesamten Reparaturkosten gänzlich zu vernachlässigendem Rechnungsposten, hier beispielsweise ein Betrag von weniger als 100,00 Euro, in einem Regressprozess wie dem Vorliegenden auf mehrere Tausend Euro in Anspruch genommen zu werden. (…) Überspitzt formuliert könnte ein Sachverständiger wirtschaftlich nicht mehr zielgerichtet und sinnvoll arbeiten, wenn er ‚bei jeder auf die Rechnung gesetzten Schraube‘, deren Notwendigkeit man möglicherweise auch anders beurteilen kann, fürchten müsste, einem Regress von Tausenden von Euro ausgesetzt zu sein, weil ein Folgegericht und der dort bestellte gerichtliche Sachverständige sie Notwendigkeit eines gegenüber dem Gesamtreparaturweg unbedeutenden Reparaturschritts für nicht gegeben erachtete.

Das Gericht wies die Klage des Versicherers daher vollständig zurück.

Kanzlei Voigt Praxistipp

Ein Sachverständiger ist verpflichtet das Schadensgutachten sorgfältig zu erstellen. Dabei soll er selbstverständlich nur die Schadenspositionen aufnehmen, die nach seiner Einschätzung für die Reparatur des Fahrzeugs erforderlich sind. Welchen Reparaturweg er als den geeignetsten erachtet, stützt sich auf sein Fachwissen sowie auf seine Erfahrung. Dass ein Versicherer bestimmte Arbeiten als unnötig betrachtet (was eigene Schadensersatzansprüche auslösen kann), einen anderen Reparaturweg als richtig erachtet oder einzelne Positionen als zu teuer kürzt, ist an der Tagesordnung.

Um sich gegen ungerechtfertigte Kürzungen zu wehren oder gar Regressansprüche des Versicherers lohnt sich die frühzeitige Einschaltung eines Rechtsbeistands. Die erfahrenen und auf Unfallschadenregulierung spezialisierten Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen gerne zur Seite.

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