Beim Ersatz der Desinfektionskosten im Rahmen einer Unfallschadenreparatur vertreten Versicherer immer wieder die Auffassung, diese seien nicht zu ersetzen. Anfang 2021 verneinte das Amtsgericht Stuttgart die Ersatzpflicht gar mit der Begründung, Desinfektionskosten seien zwar äquivalent aber nicht adäquat dem Unfall zuzurechnen. Zudem sei der Kausalverlauf bei der Corona-Pandemie atypisch, weil eine solche Pandemien nur alle „100 bis 1000 Jahre“ vorkämen (Urt. v. 01.02.2021, Az. 46 C 3694/20).
Versicherer und Prüfdienstleister nehmen derartige Urteile natürlich gerne auf, um die Position systematisch aus den Rechnungen zu streichen und realitätsfremd zu behaupten, Händewaschen würde reichen und eine Desinfektion sei nicht erforderlich. Dass der Ersatz von Desinfektionskosten in einigen Bereichen schon längst Standard ist, wenn sie auf einen erstattungspflichtigen Unfall zurückzuführen sind, ist ihnen dabei offenbar ebenso egal wie der Umstand, dass der Ersatz von Desinfektionskosten z.B. bei der Rückgabe von Spezialfahrzeugen (Krankenwagen), wenn diese als Unfallersatzfahrzeug angemietet werden mussten (LG Kleve, Urt. v. 03.05.2017, Az. 2 O 59/15), außer Frage steht.
Diese Behauptung in Hinblick auf COVID 19 steht im klaren Widerspruch zu der eindeutigen Stellungnahme des Robert Koch Instituts. Danach ist eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen, da vermehrungsfähige SARS-CoV-2-Viren unter Laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben.
Dies soll hier aber nicht weiter vertieft werden, denn – abgesehen davon, dass Prüfdienstleister ihre Berichte ohnehin nur nach den Vorgaben des beauftragenden Versicherers erstellen oder gar im Eigentum von Versicherern stehen – steht. Zudem steht die Behauptung in klarem Widerspruch zu der gemeinsamen Studie des Allianz Zentrums für Technik (AZT), des Zentralverbands Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) sowie der Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL e.V.).
Das AG Heinsberg hat in einem Urteil vom 04.09.2020 (Az. 18 C 161/20) unmissverständlich klargestellt: Es sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig.
Dies gilt sowohl im Haftpflicht- als auch im Kaskoschadenfall (vgl. AG Aachen, Urt. v. 25.11.2020, Az.: 116 C 123/20; AG Siegburg, Urt. v. 19.11.2020, Az. 107 C 82/20).
Ausführlich hat das AG Frankenthal (Urt. v. 12.04.2021, Az. 3a C 253/20) dargelegt, dass die Desinfektionskosten zu den erforderlichen Aufwendungen bei der Fahrzeuginstandsetzung zählen. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „In diesem Zusammenhang wird auf die Hinweise des Robert-Koch-Instituts verwiesen, wonach „eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen (…) insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen sei, da vermehrungsfähige SARS-COV-2-Viren unter Laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben“. Da im Rahmen der Reparatur das Fahrzeug des Geschädigten durch Dritte berührt wird, stellt die Desinfektion eine durchaus erforderliche Maßnahme dar, Corona-Viren auf den vermeintlich kontaminierten Oberflächen des Fahrzeuges unschädlich zu machen. Dabei gewährleistet das bloße Tragen von Schutzbekleidung keinen ausreichenden Schutz vor dem hochinfektiösen Corona-Virus.“
Abgesehen davon, dass selbst die Versicherungswirtschaft von der Notwendigkeit einer Desinfektion ausgeht, kann der Kunde einer Werkstatt erwarten „dass er ein sauberes, infektionsfreies Fahrzeug zurückerhält, sodass in diesen Zeiten eine Desinfektion nötig ist“ (LG Coburg, Urt. v. 28.05.2021, Az. 33 S 10/21). Das LG Stuttgart schließt sich dem an und konstatiert (Urt. v. 21.07.2021, Az. 13 S 25/21), ein Geschädigter dürfe in Zeiten der Corona-Pandemie „eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen vor Abholung des Fahrzeugs erwarten. Unabhängig davon, ob ein nennenswertes Risiko einer Schmierinfektion über Kontaktflächen objektiv besteht, wäre es für den Geschädigten eine über die bloße Lästigkeit hinausgehende Beeinträchtigung, wenn er das Fahrzeug ohne solche Maßnahmen entgegennehmen müsste.“ Exorbitante, das vernünftige Maß übersteigende Kosten (hier: 232,40 €) müssen zwar nicht erstattet werden (AG Heilbronn, Urt. v. 01.06.2021, Az. 11 C 43/21), auch wenn sie ansonsten nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos zu den erstattungspflichtigen Positionen zählen (AG Vaihingen Urt. v. 29.06.2021, Az. 1 C 129/21). Wer meint, Desinfektionskosten seien den Gemeinkosten zuzurechnen übersieht, dass eine Kfz-Werkstatt, die als gewinnorientiertes Unternehmen betrieben wird, die mit dem Mehraufwand für eine Desinfektionsmaßnahme verbundenen Kosten an den Kunden weitergegeben wird (AG München, Urt. v. 08.07.2021, Az. 337 C 7856/21); s.a. Bundesverband Farbe: Reizthema-Desinfektionskosten.