Ist ein Unfallfahrzeug nicht versichert, sehen die europäischen Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien vor, dass nationale Entschädigungsstellen für den verursachten Schaden aufkommen. In Deutschland ist dies die Verkehrsopferhilfe. Doch wie ist das, wenn der Fahrzeughalter seiner Versicherungspflicht nicht nachkommt? Kann die Entschädigungsstelle von ihm den Schaden ersetzt verlangen? Und wann besteht überhaupt eine Versicherungspflicht? Mit diesen Fragen befasste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 04.09.2018 – Az.: C-80/17.
Was war passiert?
Eine portugiesische Fahrzeughalterin hatte ihren Wagen auf ihrem Privatgrundstück abgestellt. Weil sie das Auto aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiternutzen wollte, schloss sie für den Wagen keine Haftpflichtversicherung ab. Eine offizielle Stilllegung des Wagens erfolgte jedoch nicht.
Ihr Sohn nahm die Fahrzeugschlüssel ohne das Wissen und die Erlaubnis der Halterin an sich, fuhr mit dem fahrbereiten, aber nicht versicherten Auto los und verlor während der Fahrt auf öffentlicher Straße die Kontrolle über den Wagen. Bei dem Unfall kamen er und zwei weitere Insassen ums Leben.
Ähnlich der deutschen Verkehrsopferhilfe leistete die nationale Entschädigungsstelle Fundo de Garantia Automóvel eine Entschädigung an die Familien der Insassen. Sie nahm jedoch anschließend die Halterin des nicht versicherten Fahrzeuges in Regress. Nach Auffassung der Entschädigungsstelle sei die Halterin verpflichtet gewesen, das fahrbereite Fahrzeug zu versichern. Die Halterin hielt dagegen, sie habe das Fahrzeug aus dem Verkehr gezogen und nicht die Absicht gehabt es weiterhin zu nutzen, so dass das Fahrzeug nicht zu versichern sei.
Die Entscheidung der nationalen Gerichte
Die Entschädigungsstelle verklagte die Halterin und bekam in erster Instanz Recht. Das Gericht war der Auffassung, dass eine Versicherungspflicht bestanden habe – schließlich sollen auch im Falle eines Diebstahls den Geschädigten Schadensersatz geleistet werden. Im Berufungsverfahren war das Berufungsgericht der Auffassung, dass keine Versicherungspflicht bestanden habe und die Halterin auch sonst nicht für den Unfall haftbar sei.
Der sodann angerufene Oberste Gerichtshof Portugals sah die Antwort in den europäische Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien (KH-Richtlinien) und legte die Fragen, ob eine Versicherungspflicht bestand und ob ein Regress möglich sei, dem Europäischen Gerichtshof vor.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Hinsichtlich der Frage, ob für das Fahrzeug eine Versicherungspflicht bestand, stellte der EuGH fest, dass das Fahrzeug der Halterin zum Unfallzeitpunkt über ein Kennzeichen verfügte und Kfz-Steuer-pflichtig war. Sie hatte den Behörden ihre Absicht das Fahrzeug nicht mehr zu verwenden in keiner Weise offiziell mitgeteilt. Damit bestand aus Sicht des EuGH eine Versicherungspflicht. Wer das Fahrzeug zu versichern habe, sei jedoch nach den nationalen Vorschriften zu klären. In Deutschland betrifft dies beispielsweise den Halter.
Zu der Frage, ob der Entschädigungsstelle die Möglichkeit zum Regress zusteht, auch wenn der Regresspflichtige den Unfall nicht selbst zu verantworten hat, erläuterte der EuGH, dass es dazu keine einheitliche europarechtliche Regelung gäbe. Stattdessen stehe es den Mitgliedsstaaten frei, eine Rückgriffsmöglichkeit im nationalen Recht einzuräumen, unabhängig von der zivilrechtlichen Verantwortung. Die KH-Richtlinien stünden dem nicht entgegen. In Deutschland ist dies in § 12 Absatz 5 und 6 Pflichtversicherungsgesetz auch gegen den Halter ermöglicht.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Sollten Sie ein Fahrzeug nicht mehr benutzen wollen, empfiehlt es sich dieses offiziell stilllegen zu lassen. Eine Kündigung der Haftpflichtversicherung ist nicht ausreichend. In der Regel ist dann zwar damit zu rechnen, dass sich die Zulassungsstelle mit Ihnen in Verbindung setzt und mit der Zwangsstilllegung droht, weil Sie der Versicherungspflicht nicht nachkommen.
Beachten Sie im Falle einer Kündigung bzw. Abmeldung die sogenannte Nachhaftung, die in der Regel bis zu einem Monat gelten kann. So sind Sie auch im Falle des Diebstahls geschützt. Wer ganz sicher gehen will, sollte – entsprechend der Empfehlung des EuGH – wesentliche Fahrzeugteile wie die Batterie oder den Motor ausbauen, um unbefugten Gebrauch auszuschließen.