Wer bei Grün noch in die Kreuzung einfährt, muss manchmal aufgrund von Fußgängern oder vorausfahrenden Fahrzeugen bremsen. Es kommt zum Rückstau – ein vertrautes Bild im Stadtverkehr. Doch wenn die Ampel umspringt und der Querverkehr Grün erhält, darf die Fahrt nicht ohne weiteres fortgesetzt werden. Vielmehr ist Rücksicht auf den Querverkehr zu nehmen. Zu dem Schluss kam das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit nun veröffentlichtem Urteil vom 26.08.2016 (Az.: 7 U 22/16).
Rechtslage
Eine Autofahrerin fuhr bei Grün in den Kreuzungsbereich ein. Durch Linksabbieger kam es zum Rückstau und sie musste hinter der Fluchtlinie halten. In der Zwischenzeit wechselte die Ampel, die sie passiert hatte, auf Rot. Nach über 20 Sekunden wollte die Autofahrerin die Kreuzung räumen. Sie ließ dazu einige von Links kommende Fahrzeuge des Querverkehrs passieren, ehe es im Kreuzungsbereich dann doch zu einem Zusammenstoß mit einem anderen Wagen kam.
Der Unfallgeschädigte machte bei der Autofahrerin, dem Halter und der Haftpflichtversicherung Schadensersatz in Höhe von circa 13.990 Euro geltend. Das Landgericht Essen wies seine Klage ab.
Entscheidung des Gerichts
Das OLG dagegen gab dem Unfallgeschädigten Recht. Im Verhalten der Auofahrerin sah das Gericht einen erheblichen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wie es § 1 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) für den Straßenverkehr vorsieht. Zwar sei sie bei Grün in die Kreuzung eingefahren und damit grundsätzlich als Nachzügler gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigt die Kreuzung zu räumen. Das gebe jedoch keine Rechtfertigung, blind darauf zu vertrauen, dass der Querverkehr sie vorlässt.
Eine Nachzüglerin habe den Kreuzungsbereich vielmehr vorsichtig unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen. Mit der Verweildauer im Kreuzungsbereich ehöhen sich jedoch die Anforderungen an die einzubringende Aufmerksamkeit. Denn: Je länger sie im Kreuzungsbereich verweilt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Grünphase für den Querverkehr einsetzt und dieser ebenfalls in die Kreuzung einfährt. Darüber hinaus lasse das Abwarten aus dem Verhalten schließen, dass sie gerade nicht weiterfahre.
In der Konsequenz darf ein Nachzügler erst dann weiterfahren, wenn wenn er sicherstellen kann, nicht mit dem Querverkehr zu kollidieren.
Ein (Mit-)Verschuden auf Seiten des Geschädigten sah das Gericht dagegen als nicht gegeben. Weil bereits Fahrzeuge vor ihm an der Autofahrerin vorbeigefahren seien und ihre Rotphase bereits 19 Sekunden gedauert hatte, sei er nicht mehr in der Pflicht gewesen der Autofahrerin eine Möglichkeit zu schaffen, um die Kreuzung zu räumen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, ebenfalls frei vorbeifahren zu können – ohne mit einer Weiterfahrt der Autofahrerin zu rechnen.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Wie so oft im Leben heißt es vor allem im Straßenverkehr Der Klügere gibt nach.
Denn immer häufiger führt unklares Fahrvehalten – wie im geschilderten Fall – zu Unfällen. Ein sicherer, ruhiger Fahrstil bringt Sie am weitesten. Beharren Sie daher nicht zwingend auf Ihren Vorfahrtsrechten und schonen Sie damit Ihre Nervern und – wie im Fall der Autofahrerin – Ihren Geldbeutel. Im Zweifellsfall gilt das gegenseitige Rücksichtnahmegebot aus § 1 StVO.