LG Mönchengladbach, Urteil vom 16.02.2024, Az. 1 O 156/23
Was für den Versicherer eine Verringerung des Schadenaufwandes bedeutet, kann den Geschädigten aber zusätzlichen Risiken aussetzen. Dies gilt sowohl für die Bezahlung, unzuverlässige Abholtermine als auch etwaige juristische mit Auseinandersetzungen mit einem im Ausland ansässigen Käufer.
Zwar werden Restwertwertbörsen und Schadenabwickler gerne damit, sie würden sich um alles kümmern und Geschädigte hätten keinerlei Aufwand mit der Abwicklung. Die Rechtsprechung (z.B. das Landgericht Schweinfurt, Urt. vom 22.12.2023, Az. 47 S 12/23) sehen dies aber durchaus anders.
Gemäß der Leitentscheidung des BGH (Urt. v. 01.06.2010, Az. VI ZR 316/09), haben Geschädigte sich an dem Gebot der Wirtschaftlichkeit zu orientieren und sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gezogenen Grenzen zu bewegen. Für die Restwertermittlung ist der regionale Markt entscheidend. Veräußert ein Geschädigter sein Fahrzeug daher zu dem Preis, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat, sollte es eigentlich keine Probleme geben (z.B. BGH, Urt. v. 12.07.2005, Az. VI ZR 132/04).
Daran hat sich – zumindest für private Geschädigte – bisher auch nicht viel geändert. Dasselbe gilt für die Definition des regionalen Marktes, die bei der Überregionalität nicht zwischen „national“ und „international“ unterscheidet. Das LG Mönchengladbach konnte die Grundsätze des BGH daher auch auf bei überregionales Gebot aus Berlin zum Ansatz bringen. Die Argumentation unterschied sich dabei nicht grundlegend von den das Ausland betreffenden Entscheidungen.
Auch für das LG Mönchengladbach gilt, „maßgeblich ist allein, welcher Wert auf dem regionalen Markt hätte erzielt werden können. Ein Restwertangebot eines Aufkäufers in Berlin ist hierfür nicht ausreichend.
Besondere Beachtung verdient dabei, dass „der regionale Markt als Bezugspunkt für die Ermittlung des Restwerts … durch die auf dem Gebrauchtwagenmarkt eingetretene Entwicklung und die – unterstellt – allgemeine Zugänglichkeit von Online-Gebrauchtwagenbörsen nicht überholt [ist].“
Besonderes Interesse verdient die Argumentation zur Inzahlunggabe des beschädigten Fahrzeugs.
Vorrangiger Grund für die Entscheidung, bei der Ermittlung des Restwerts grundsätzlich maßgeblich auf den regionalen Markt abzustellen, ist dabei weiterhin die Überlegung, dass es einem Geschädigten – unabhängig davon, ob er im Einzelfall nach Einholung des Gutachtens dann auch entsprechend verfährt – möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben.
Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern (BGH NJW 2017, 953 Rn. 13 m.w.N.; BGH NJW 2019, 3139 m.w.N.).
Hinzukommt, dass mit dem Verkauf an einen Aufkäufer aus Berlin andere Risiken verbunden sind als mit einem regionalen Käufer. Ein Käufer aus Berlin wird sich – sofern er selbst erscheint – mit anderen Unsicherheiten aufgrund von Staus, unvorhergesehenen Störungen etc. zu beschäftigen haben. Auch wenn er einen Sub-Unternehmer damit beauftragt, bestehen im Vergleich zu einem regionalen 8 Käufer erhöhte Risiken der Nichtwahrnehmung des vereinbarten Termins mangels Kommunikation mit diesem, was sich auch auf den Kläger und dessen Wartezeit auswirkt.“
Versicherer haben Restwertbörsen inzwischen fest in ihre Prozesse integriert. Zudem unterscheidet die Rechtsprechung inzwischen zwischen privaten und gewerblichen Geschädigten, bei denen der An- und Verkauf von Fahrzeugen typischerweise zum eigenen Gewerbe zählt.
Für Privatpersonen ist nach wie vor der Wert maßgeblich, den ein Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.
Zudem sind Geschädigte im Totalschadensfall nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und bessere Restwertangebote vorzulegen.
Geschädigte müssen weder dem Schädiger noch dessen Haftpflichtversicherung vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs die Möglichkeit einräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln (AG Coburg, Urt. v. 27.09.2018, Az. 12 C 951/18).
Versicherer mögen das anders sehen – Aber Herr des Verfahrens ist immer noch der Geschädigte. Wer in einen Verkehrsunfall verwickelt worden ist und vollständigen Schadenersatz erhalten möchte, sollte das Heft daher auch nicht leichtfertig aus der Hand geben, sondern besser uns kontaktieren!