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Achtjährige Radfahrerin muss haften

Auch die Erfahrung als Radfahrerin begünstigte die Haftung. Dazu heißt es in dem Urteil: Das allgemeine Verständnis, dass eine längere Rückschau während der Fahrt Gefahren herbeiführen kann, liegt vor. Einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Kind, das - nach eigener Aussage - bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken darf.
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02.03.2020
ca. 3 Minuten
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Kinder können Opfer und Verursacher eines Unfalls mit anderen Verkehrsteilnehmern sein. Doch wer haftet, wenn durch das kindliche Verhalten ein anderer geschädigt wird? Mit dieser Frage musste sich auch das Oberlandesgericht (OLG) Celle in seinem Urteil vom 19.02.2020 (Az. 14 U 69/19) befassen, bei dem eine achtjährige Radfahrerin einen Schaden verursachte.

Was war passiert?

Ein achtjähriges Mädchen befuhr eine Uferpromenade, als sie sich nach hinten zu ihren Eltern umdrehte. Während sie nach hinten schaute, geriet sie von ihrer Fahrspur ab. Ihre Eltern riefen dem Mädchen zu anzuhalten, als sie bemerkten, dass es weiterfuhr ohne nach vorne zu schauen. Die Achtjährige leitete eine Vollbremsung ein. Dadurch gelangte jedoch eine Fußgängerin, die an der Uferpromenade stand, ins Straucheln, stürzte einen Meter tief auf einen Betonsteg und anschließend ins Hafenbecken.

Die Fußgängerin forderte von dem Mädchen und ihren Eltern Schadensersatz, Schmerzensgeld sowie den Ersatz künftiger Schäden aus dem Vorfall. Die Fußgängerin verklagte das Mädchen und ihre Eltern vor dem Landgericht (LG) Hannover.

In der Verhandlung sagte die Fußgängerin aus, dass das Mädchen in der Mitte der Promenade und sehr zügig gefahren sei. Die Begleitung sei dann nach links zur Seite gesprungen und die Fußgängerin sei von dem Mädchen angefahren worden. Die Eltern jedoch sagten aus, dass ihre Tochter im Schritttempo gefahren sei und der Sprung der Begleitung nach rechts habe zu dem Sturz der Fußgängerin geführt. Die Achtjährige sei mit der Fußgängerin nicht kollidiert. Schließlich sei ihre Tochter eine geübte Radfahrerin, die mit den Verkehrsregeln vertraut sei, schließlich fahre sie seit ihrem fünften Lebensjahr Fahrrad. Daher hätten sie auch nicht ihre Aufsichtspflicht verletzt und seien nicht haftbar.

Das LG Hannover kam mit Urteil vom 22.03.2019 (Az. 16 O 9/17) zu dem Ergebnis, dass das Mädchen nicht (nachweislich) mit der Fußgängerin zusammengestoßen sei und wies die Klage der Fußgängerin ab. Diese wollte sich mit dem Ergebnis nicht zufriedengeben und ging in Berufung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle bewertete die Angelegenheit anders (Urt. v. 19.02.2020, Az. 14 U 69/19) anders. Es sah eine Haftung der Achtjährigen aufgrund ihrer Einsichtsfähigkeit und ihrer Erfahrung als Radfahrerin. Dies begründete es damit: Dabei verlangt das Gesetz vom Kind nur die Fähigkeit zu einem allgemeinen Verständnis des Unrechtsgehaltes seines Verhaltens und der Pflicht, dafür einstehen zu müssen; den konkreten Schaden muss es sich nicht vorstellen können. Vielmehr genügt die Fähigkeit, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.

Auch die Erfahrung als Radfahrerin begünstigte die Haftung. Dazu heißt es in dem Urteil: Das allgemeine Verständnis, dass eine längere Rückschau während der Fahrt Gefahren herbeiführen kann, liegt vor. Einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Kind, das – nach eigener Aussage – bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken darf.

Besonderheit im motorisierten Straßenverkehr

Gegenüber Kraftfahrzeugen, Schienen- und Schwebebahnen genießen Kinder bis zu ihrem 10. Geburtstag eine Haftungsprivilegierung. Voraussetzung ist ab dem 7. Lebensjahr jedoch, dass eine typische Verkehrssituation vorliegt, die das Kind überfordert. Diese Überforderung ist im fließenden Verkehr regelmäßig anzunehmen. Im Einzelfall können jedoch Umstände vorliegen, die diese Annahme widerlegen. Bei geparkten Fahrzeugen kann es dagegen anders liegen. Ein stehendes Fahrzeug bewegt sich nicht und so liegt eine Überforderungssituation tendenziell nicht vor. Allerdings kann dies wiederum anders aussehen, wenn das Fahrzeug beispielsweise auf den Fußgängerweg ragt, weil die Fahrzeugtüren geöffnet sind.

Ob eine Haftungsprivilegierung Anwendung findet oder nicht, hängt daher stark vom Einzelfall ab, was sich an zahlreichen Gerichtsentscheidungen zu dieser Thematik widerspiegelt. Noch komplexer dürfte die Frage in Zukunft werden, wenn es um Fragen der Haftung bei Unfällen beispielsweise mit Elektrokleinstfahrzeugen geht. Werden diese wie Fahrräder und Fußgänger gewertet oder überfordert die neue Fortbewegungsart Kinder ebenso wie Autos und Schienenbahnen?

Kanzlei Voigt Praxistipp

Ob ein Kind für den verursachten Schaden haftbar gemacht werden kann oder nicht und unter welchen Umständen Eltern herangezogen werden können, lässt sich pauschal nicht beantworten. Daher empfiehlt sich in jedem Fall ein Gespräch mit einem erfahrenen Juristen, um die Haftungsfrage im konkreten Fall zu erörtern. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt helfen Ihnen gerne weiter.

 
Bildnachweis: Pexels/9144Bilder

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