Haben Radfahrer Anspruch auf Nutzungsausfall und Erstattung der Gutachterkosten?
Was gilt grundsätzlich?
Die Grundsätze des § 249 Abs. 1 BGB gelten auch für Fahrradschäden. Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
Was Sachschäden betrifft, sind hier z.B. die Kosten der Schäden am Fahrrad und deren Instandsetzung aber auch für beschädigte Bekleidung und Zubehör wie z.B. Fahrradkleidung, Rennradbrille oder eine Trinkflasche zu nennen (OLG Frankfurt, Urt. v. 16.07.2020, Az. 22 U 205/19). Bei einem etwaigen Abzug „neu für alt“ kommt es darauf an, „ob die neu anzuschaffende Sache aufgrund ihres individuellen Nutzungspotentials gerade für den Geschädigten einen höheren Wert hat“ (OLG Köln, Urt. v. 01.08.2014, Az. 11 U 23/14).
Der Grundsatz, dass die Kosten der Schadensfeststellung Teil des zu ersetzenden Schadens sind und der Schädiger die Kosten von Sachverständigengutachten zu erstatten hat, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (BGH, Urt. v. 11.02.2014, Az. VI ZR 225/13), gilt auch bei Fahrradschäden.
Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 12.03.2007, Az. I-1 U 192/06) Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit auch bei einem betragsmäßig geringen Schadensumfang betragsmäßig geringen Schaden bejaht. Begründet hatte es dies u.a. damit, dass „die Beschädigung des Rades nahe am wirtschaftlichen Totalschaden lag und damit jedenfalls relativ hoch war. Eine Übertragung der bei Pkw-Schadensfällen in der Rechtsprechung in unterschiedlicher Höhe angenommenen Bagatellgrenzen auf einen Fahrradschaden verbietet sich von vorneherein angesichts des deutlich höheren Wertes eines Pkw, zumal hier auch die Gutachterkosten in einer anderen Dimension liegen.“ Angesichts der oben angerissenen Werte bei Fahrrädern, die nicht zuletzt auch der Verwendung neuer hochwertiger Materialen geschuldet ist, dürfte zumindest der zweite nicht mehr zutreffen. Exemplarisch sei ein Urteil des OG Köln genannt. Hier lagen der Wiederbeschaffungswert des Fahrrads 8.500 Euro, die Reparaturkosten bei 10.798,50 Euro (LG Köln, Urt. v. 23.10.2023, Az. 15 O 424/21).
Dem OLG München zufolge (Urt. v. 16.11.2018, Az. 10 U 1885/18) ist für die Berechnung der Reparaturkosten grundsätzlich die Kalkulation des Sachverständigen für eine fachgerechte Instandsetzung. Der tatsächlich angefallene Reparaturaufwand ist dabei nur bis zur 130 % Grenze maßgeblich.
Die Begründung liegt in dem besonderen Integritätsinteresse des Geschädigten, demzufolge „faktisch sichergestellt sein [solle], dass das Eigentum des Geschädigten für den Bedarfsfall in seiner konkreten Zusammensetzung und nicht nur dem Wert nach erhalten bleiben kann.“
Die Erstattung eines Nutzungsausfallschadens ist auch bei Fahrrädern möglich. Wie bei dem Ausfall von Kraftfahrzeugen, kommt es auch hier auf den „vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung vergleichbaren eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz“ (OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 09.09.2013, Az. 13 U 102/13), bei gleichzeitig bestehender Nutzungsmöglichkeit und Nutzungswillen an (KG Berlin, Urt. v. 16.07.1993, Az. 18 U 1276/92).
Das LG Lübeck hat sich dem KG Berlin angeschlossen und konstatiert, dass wenn ein Geschädigter sein Fahrrad z.B. regelmäßig für den Weg zur Arbeit nutzt und deshalb auf die ständige Verfügbarkeit typischerweise angewiesen ist, auch einen Anspruch auf Erstattung des Nutzungsausfallschadens haben kann. Anders kann dies bei zu Sportzwecken genutzten Rennrädern beurteilt werden (OLG Stuttgart, s.o.).
Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Ein Grund, der es rechtfertigen würde, denjenigen, dessen für den Weg zur Arbeitsstätte genutzter Pkw beschädigt wird, anders zu behandeln als denjenigen, dessen für den Weg zur Arbeit genutztes Fahrrad beschädigt wird, besteht nicht“ (LG Lübeck, Urt. v. 8.07. 2011, Az. 1 S 16/11; s.a. AG Ansbach, Urt. v. 03.10.2021, Az. 1 C 571/21).
Die Abwicklung von Schäden nach einem Fahrradunfall richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Regeln, die auch bei Auto- oder Motorradunfällen zur Anwendung kommen.
Dies gilt sowohl für den Schadenersatz als auch für die Haftung. Wer auf einem nicht freigegebenen Fußweg nicht bremsbereit und mit nicht mit angepasster Geschwindigkeit unterwegs ist, muss deshalb damit rechnen, dass sein Verhalten als rücksichtslos und grob fahrlässig eingestuft wird mit entsprechenden Folgen für die Schadenersatzansprüche. Allerdings kommt es auch hier entscheidend auf den Einzelfall an. So haben z.B. die Oberlandesgerichte München (Urt. v. 27.02.2015, Az. 10 U 4873/13 ) und Köln (Urt. v. 14.01.1994, Az. 19 U 208/93) anerkannt, dass Radwege in unbenutzbarem Zustand entgegen § 2 IV StVO nicht benutzt werden müssen und Radfahrer beim Vorliegen eines dermaßen schlechten Zustandes durchaus auf den Seitenstreifen oder die rechte Fahrspur ausweichen können.
Die Durchsetzung schadenersatzrechtlicher Ansprüche wird für geschädigte Fahrradfahrer dadurch aber nicht leichter – es ist eher genau anderes herum.
Lassen Sie sich nach einem Unfall mit ihrem Fahrrad daher nicht noch zusätzlich aus der Spur werfen.
Bildnachweis: GlauchauCity / Pixabay