Als Sachverständiger wird eine Person mit besonderer Sach- und Fachkunde bezeichnet.
Seine Aufgabe besteht darin, den Schaden auf der Grundlage zutreffender Anknüpfungstatsachen zu ermitteln und zu bewerten, wobei ihm ein gewisser Spielraum zuzugestehen ist (LG Coburg, Urt. v. 28.05.2021, Az. 33 S 49/20). Wie das AG Ibbenbühren in einem Urteil vom 22.06.2015, Az. 3 C 26/15) feststellte, hat ein Sachverständiger „die Aufgabe, in seinem Gutachten gerade auch zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche Schäden unfallbedingt sind und welche nicht.
Dies und der ohnehin höhere „Beweiswert“ eines Sachverständigengutachtens sind insbesondere deshalb von großer Bedeutung, weil viele Kfz-Haftpflichtversicherer gerichtsbekannt in der jüngeren Vergangenheit zunehmend Kostenvoranschläge und Schadensabrechnungen zu kürzen versuchen, wobei sie sich zum Teil pauschaler Behauptungen und Vermutungen bedienen, z. B. auch, es lägen Altschäden vor.“
Der Begriff des Sachverständigen ist gesetzlich nicht geschützt. Von einem Sachverständigen wird jedoch fundiertes Fach- und Erfahrungswissen erwartet und vorausgesetzt. In wettbewerbsrechtlicher Hinsicht setzt die Führung der Bezeichnung „Sachverständiger“ daher voraus, dass der Werbende über die erforderliche Sachkunde in einem bestimmten Fachgebiet verfügt.
„Die angesprochenen Verkehrskreise erwarten selbst von einem nicht öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen uneingeschränkt fundiertes Fach- und Erfahrungswissen auf dem Gebiet, in dem er auftritt, regelmäßig nachgewiesen durch einen berufsqualifizierenden Abschluss. Ausnahmsweise können die zu fordernden überdurchschnittlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auch autodidaktisch erworben werden“ (LG Köln, Urt. v. 18.02.2020, Az. 31 O 39/19; AG Siegburg, Urt. v. 28.06.2002, Az. 8 C 44/02).
Unfallgeschädigte müssen sich daher auf die Kalkulation des Sachverständigen verlassen können und nichts anderes veranlassen, als das Gutachten zur Grundlage seines Reparaturauftrags zu machen (AG Rendsburg, Urt. v. 02.02.2022, Az. 41 C 198/20).
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Neutralität des Sachverständigen. Denn um seine Funktion erfüllen zu können, darf das Gutachten weder im Sinne einseitiger Interessen des Geschädigten noch des Sachverständigen erstellt worden sein (LG München II, Beschl. v. 16.08.2017, Az. 8 S 2704/17). Bei Angestellten des entschädigungspflichtigen Versicherers oder des reparierenden Betriebs kann die Frage nach der Neutralität daher durchaus berechtigt sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn der beauftragte Sachverständige – ungeachtet seiner fachlichen Qualifikation – Gesellschafter, Geschäftsführer oder gar Inhaber des Reparaturbetriebs ist (vgl. LG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 25.10. 2011, Az. 9 S 21/11).
Wie weit darf ein Sachverständiger örtlich entfernt sein?
Da die Wahl des Gutachters der Dispositionsfreiheit des Geschädigten unterfällt, kann dieser daher einen Sachverständigen seines Vertrauens wählen und der gegnerische Haftpflichtversicherer kann dies Auswahl nicht – z.B. auf den nächstgelegenen Gutachter vor Ort – beschränken.
Allerdings erstreckt sich die Schadensminderungspflicht auch auf die Wahl des Sachverständigen, weshalb dessen Anfahrtsweg nicht übermäßig groß sein darf (vgl. AG Nördlingen, Urt. v. 02.02.2021, Az. 2 C 712/20; AG Gießen, Urt. v. 18.01.2019, Az. 41 C 397/18). Das AG Aalen hat eine Entfernung von 46 km (Urt. 31.05.2021, Az. 12 C 333/20), das LG Coburg (Urt. v. 28.05.25021, Az. 33 S 49/20) eine Distanz von 34 km für unproblematisch erachtet. Wörtlich und realitätsnah heißt es dazu in dem Urteil: „Ein Sachverständiger wird kaum neben dem Unfallort oder Besichtigungsort wohnen oder tätig sein, sodass Fahrtkosten zwangsläufig anfallen.“ Überhaupt keine Probleme sah das AG Ulm bei einem Sachverständigen, der sich in 20 km Entfernung vom Wohnort des Geschädigten befand (AG Ulm, Urt. v. 18.03.2022, Az. 5 C 402/22).
Das AG Waiblingen (Urt. v. 05.04.2022, Az. 7 C 975/21) schematisiert die zulässigen Entfernungen wie folgt:
Städte: 20 km
Städtische Großräume: 25 km
Ländliche Gegenden: 39 km-
S.a. AG Hamburg-Harburg, Urt. v. 22.03.2022, Az. 647/22)
Werbung mit Online-Gutachten kann gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen!
Das Landgericht Gießen hatte mit Versäumnisurteil vom 21.05.2021, Az. 6 O 13/21 insbesondere festgestellt, dass mit einem „Gutachter vor Ort“ nur geworben werden darf, wenn ein solcher auch tatsächlich vor Ort anwesend ist. Die Begutachtung via „Kfz-Unfallgutachter App“, bei der ein Mitarbeiter der Werkstatt den Schaden mit Fotos, Videos, etc. dokumentiert und das Material anschließend an einen Sachverständigen sendet, kann die persönliche Inaugenscheinnahme durch den Sachverständigen nicht ersetzen.
Geschädigte können den Gutachter frei wählen!
Als Ausdruck der Dispositionsfreiheit – schließlich ist der Geschädigte “Herr des Verfahrens” – kann der Geschädigte den Sachverständigen frei wählen (Ausführlich dazu: BGH, Urt. v. 15.10.2013, Az. VI ZR 528/12). Dies gilt selbst dann, wenn der Versicherer bereits einen eigenen Gutachter / Sachverständigen beauftragt hat (z.B. AG Berlin Mitte, Urt. v. 02.09.2022, Az. 104 C 40/22 V).
Es besteht weder eine Pflicht dazu, größere Nachforschungen zur Anfahrt des Sachverständigen anzustellen (hierzu z.B.: AG Köln, Urt. v. 27.08.2022, Az. 271 C 65/22; AG Tettnang, Urt. v. 25.08.2022, Az. 8 C 164/22).
oder einen besonders preisgünstigen ausfindig zu machen, noch muss ein Geschädigter sich von dem gegnerischen Versicherer einen Sachverständigen aufzwingen lassen. Eine Einschränkung der Wahlmöglichkeit kann lediglich dann bestehen, wenn dem Geschädigten ein Missverhältnis von und Leistung auffallen muss. In einer derartigen Konstellation beschränkt sich der Anspruch des Geschädigten im Verhältnis zu den Schädigern auf die tatsächlich erforderlichen Kosten, die im Zweifel ein Gericht zu schätzen hat (BGH, Urt. v. 26.04.2016, Az. VI ZR 50/15 ). Eine Marktanalyse muss der Geschädigte nicht durchführen.
Weshalb dies nicht erforderlich ist, hat das AG Greifswald plastisch und gut nachvollziehbar ausgeführt.
“Erforderlich ist die subjektive Schadensbetrachtung. Bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschädigte daher damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss zuvor keine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben, keine Kostenvoranschläge einholen, keinen Preisvergleich anstellen. Letzteres ergibt sich auch bereits daraus, dass die Ermittlung des honorargünstigsten Sachverständigen in der Praxis nur durch Einholung von Kostenvoranschlägen möglich wäre. Bereits die Einholung von drei Kostenvoranschlägen erfordert indes einen geschätzten Zeitaufwand von mindestens einer Woche. Die in dieser Zeit anfallenden Kosten für Mietwagen oder Nutzungsausfall dürften im Lichte der Schadensminderungspflicht die Einsparungen durch die Recherche in den wenigsten Fällen rechtfertigen” (Urt. v. 08.11.2023, Az. 46 C 79/22).