Für bestimmte Verkehrsverstöße sieht das Gesetz in der Regel ein Fahrverbot vor.
In solchen Fällen wird dann das sogenannte Regelfahrverbot verhängt. Dieses wird in § 4 Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) geregelt. Dazu gehört beispielsweise der Abstandsverstoß bei Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstandes von 3/10 des halben Tachowertes ab einer Geschwindigkeit von 80 km/h sowie die Geschwindigkeitsüberschreitung ab 31 km/h innerhalb und 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften. Die mit der StVO-Novelle eingeführte Grenze von 21 km/h innerhalb und 26 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften ist aufgrund eines Formfehlers nicht wirksam.
Im Ausnahmefall kann vom Fahrverbot abgesehen werden!
Gleichzeitig sieht § 4 Absatz 4 BKatV ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots vor. Dies kann jedoch nicht aus „Kulanz“ erfolgen und dem Beurteilungsspielraum des Richters sind enge Grenzen gesetzt. Insbesondere müssen die schriftlichen Urteilsgründe konkrete, nachvollziehbare und auf Tatsachen gestützte Feststellungen enthalten, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen.
Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn das Fahrverbot für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde oder der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt erscheint (BayObLG, Beschl. v. 17.09.2019, Az. 201 ObOWi 1580/19). Dies gilt nicht nur für die im Urteil genannten Aspekte, sondern insbesondere auch für die Gesamtschau aller Umstände (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 24.02.2016, Az. 3 Ws (B) 95/16). Aber selbst ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes ist noch keine Garantie dafür, dass das Gericht von der Verhängung eines Fahrverbots absieht (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.06.2019, Az. 202 ObOWi 874/19). zudem betrachtet die Rechtsprechung „bloße wirtschaftliche oder berufliche Nachteile, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßige Folge eines Fahrverbotes sind, als selbstverschuldet. Für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte reichen sie daher nicht aus und sind vom Betroffenen hinzunehmen (OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2015, Az. 321 SsBs 176/14). Zudem haben Betroffene die Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbots gem. § 25 Abs. 2a StVG in einem Zeitraum von vier Monaten selbst zu bestimmen und damit z. B. in die Ferien zu verlegen (z. B. KG Berlin, Beschl. v. 06.03.2018, Az. 3 Ws (B) 73/18).
Ein Beschluss des OLG Bamberg vom 20.8.2008 (Az. 3 Ss OWi 966/08) hat es dahingehend auf den Punkt gebracht, dass „ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24 a Abs. 1 und 3, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher in Betracht kommen kann oder wenn wegen … besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (BGHSt 38,125/134; OLG Bamberg, Beschluss vom 11.03.2005 – 2 Ss OWi 236/05…). Denn anders als bei den Katalogtaten nach § 4 Abs. 1 und 2 BKatV, in denen ein Fahrverbot lediglich in der Regel „in Betracht“ kommt, ist bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24 a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst (st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt z.B. Beschl. v. 12.02.2008, Az. 3 Ss OWi 1776/07).“
Was gilt für Selbständige, Handwerker oder Freiberufler?
Selbständige, Handwerker oder Freiberufler, bei denen kein Arbeitgeber den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bestätigen kann, müssen hinreichend aussagekräftige Unterlagen (Bilanzen, Kontounterlagen, Steuerbescheide oder Gewinnermittlungen) vorlegen (OLG Bamberg, Beschl. v. 17.07.2012, Az. 3 Ss OWi 944/12). Zudem kann ein Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt sein, wenn in der konkreten Situation ein lediglich objektiv wenig gefährliches Verhalten vorgelegen hat und eine konkrete Gefährdung ausgeschlossen ist. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein Fahrzeugführer zunächst anhält um Fußgänger passieren zu lassen und die Ampel erst danach wieder auf Rot umspringt (KG, Beschl. v. 03.06.2021, Az. 3 Ws (B) 140/21; OLG Bamberg, Beschl. v. 29.06.2009, Az. 2 Ss OWi 573/09; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.04.2001 , Az. 3 Ss 6/01)
In jedem Fall muss das Absehen von einem Fahrverbot aber auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen (KG, Beschl. v. 15.12.2020, Az. 3 Ws (B) 289-290/20). Denn selbst eine leitende ärztliche Funktion in der zentralen Notaufnahme eines Klinikums mit Schwerpunktversorgung, die mit nächtlicher Rufbereitschaft an Wochenenden und im Urlaub verbunden ist, kann ein Absehen von einem bußgeldrechtlichen Regelfahrverbot oder sonstige Fahrverbotsprivilegierungen als im „überwiegenden öffentlichen Interesse“ liegend im Zweifel auch dann nicht rechtfertigen, wenn der oder die Betroffene daneben im Notarztdienst engagiert und zur Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und zur beruflichen Pflichtenerfüllung auf eine private Kraftfahrzeugnutzung angewiesen ist (vgl. BayObLG München, Beschl. v. 19.01.2021, Az. 202 ObOWi 1728/20).
Übrigens
Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch gegen eine Erhöhung der Geldbuße von einem Fahrverbot abgesehen werden. Allerdings kommt eine Erhöhung der Geldbuße wegen des Absehens vom Fahrverbot kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn es der Anordnung eines Fahrverbots wegen des langen Zeitablaufs zwischen der Tat und deren Ahndung (hier: zweieinhalb Jahre) nicht mehr bedarf (OLG Hamm, Beschl. v. 02.07.2007, Az. 3 Ss OWi 360/07).
Weitere Rechtsprechung
OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.04.2022, Az. 3 Ss-OWi 415/22
Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 03.03.2022, Az. 5 RBs 48/22
OLG Bamberg, Beschl, v. 24.07.2008, Az. 3 Ss OWi 1774/07
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