Rest- und Wiederbeschaffungswert sind im Totalschadenfall durch einen neutralen Sachverständigen zu ermitteln und beide Werte beeinflussen die Höhe der vom Versicherer zu leistenden Zahlung. So oder ähnlich könnten die Ausgangsgedanken gewesen sein, als man sich bei der HUK-Coburg die Frage stellte, wie sich die Aufwendungen im Schadenfall noch weiter reduzieren ließen.
Der BGH fordert seit Jahren für die korrekte Wertermittlung bei einem Totalschaden in der Regel drei konkrete Restwertangebote im Gutachten. Sind diese „Spielregeln“ eingehalten ist der Sachverständige, erst recht aber der – private – Geschädigte auf der sichereren Seite. Er darf dann zu dem im Gutachten ausgewiesenen Restwert verkaufen, ohne den Versicherer vorher nach einem besseren Angebot zu fragen oder sonst um Erlaubnis zu bitten. Für die Versicherer ist beim Thema „Restwert“ auf Basis dieser Rechtsprechung also schon seit Jahren nichts mehr zu holen.
Aus Sicht der Versicherer eignet sich das 3-Angebote-Restwert-Urteil (VI ZR 318/08) aber ganz offenbar als Blaupause für eine neue Strategie, die aktuell deutschlandweit ausgerollt wird. Der Begriff „Restwert“ wird dabei einfach durch „Wiederbeschaffungswert“ ersetzt.
Mit der Begründung, etwaige Vorschäden und ihre Auswirkungen seien nicht hinreichend berücksichtigt, verweigert die HUK-Coburg aktuell sowohl die Erstattung der Sachverständigenkosten als auch des ermittelten Wiederbeschaffungswertes. Um diese Behauptung zu untermauern, verweist der verwendete Textbaustein dabei etliche Urteile, denen zufolge bei der Geltendmachung des Ersatzanspruchs auch die Auswirkungen auf vorheriger Schäden zu berücksichtigen sind. Gleichzeitig wird ein umfangreicher Fragebogen beigelegt. Die zitierten Urteile sind zwar teilweise weder veröffentlicht noch einschlägig, die Kernaussagen zur Berücksichtigung von Vorschäden lassen sich aber auch nicht gänzlich von der Hand weisen. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass die Versicherer offenbar mit zweierlei Maß messen. Denn wo sie beim Wiederbeschaffungswert eine umfangreiche und detaillierte Angabe der Vorschäden fordern, wird beim Restwert darauf verzichtet. Das macht auch Sinn. Schließlich soll der Restwert ja möglichst hoch sein und gegenüber den gewerblichen Aufkäufern wird ja ohnehin mit dem Totalschadenargument agiert. Wenn Vorschäden sich auf die Höhe der Gebote auswirken würden, wäre dies kontraproduktiv.
Versicherer behaupten aktuell gerne, ein Gutachten lasse nicht erkennen, ob und in welchem Umfang Alt- und Vorschäden bei der Wertermittlung berücksichtigt worden sind. Die Erfolgsaussichten dieser Vorgehensweise sind dabei auch durchaus realistisch, wenn Alt- und Vorschäden zwar wahrheitsgemäß und detailliert angegeben werden, der Wiederbeschaffungswert aber lediglich auf einer oberflächlichen Abfrage in überregionalen Gebrauchtwagenplattformen beruht. Der Sachverständige muss im Zweifel also nachlegen. Im Zweifel deshalb, weil Vorschäden z.B. bei gewerblich eingesetzten Fahrzeugen, bei denen der Nutzwert im Vordergrund steht, anders zu beurteilen sind, als bei privat genutzten PKW.
Die HUK-Coburg bezieht sich auf die Rechtsprechung des BGH zur Restwertproblematik und genau hier kann angesetzt werden. Der BGH lässt für die korrekte Ermittlung des Restwerts drei konkrete Vergleichsangebote des regionalen Marktes genügen. Überregionale Angebote müssen – zumindest für private Geschädigte – nicht eingeholt werden. Bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes sollten Sachverständige idealerweise drei konkrete Angebote regional verfügbarer Fahrzeuge mit gleichen Vorschäden vorweisen können. Das Vorhandensein derartiger Fahrzeuge dürfte allerdings eher die Ausnahme und diese Vorgabe daher wohl kaum zu erfüllen sein.
Alternativ dazu sind daher in einem ersten Schritt grundsätzlich vergleichbare unbeschädigte Fahrzeuge zu ermitteln, deren Verkaufspreis dann in einem zweiten Schritt, unter Berücksichtigung der Vorschäden des Fahrzeugs des Geschädigten, herabzusetzen ist. Dabei sollte der Gutachter, wenn er ein Interesse an dem Erhalt seines Gutachtenhonorars hat, durchaus individuell mit ein oder zwei Sätzen auf die Wertermittlung eingehen und es nicht bei allgemeinen Worthülsen „Alt-Vorschäden wurden bei der Wertermittlung berücksichtigt“ belassen.
An einer detaillierten Auseinandersetzung mit der Vorschadenhistorie führt vielmehr kein Weg vorbei. Den damit verbundenen Mehraufwand hat der Versicherer zu bezahlen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Sachverständige – dort wo Belege fehlen – die Kosten der Instandsetzung der Vorschäden zu kalkulieren haben. Dann abgesehen davon, dass hierfür regelmäßig Kalkulationsgrundlagen aus der Vergangenheit herangezogen werden müssten und der Aufwand unverhältnismäßig steigen würde, ist für den Versicherer lediglich der vorschadenbedingte Minderwert relevant. Die Instandsetzungskosten mögen bei der Restwertproblematik eine Rolle spielen. Beim Wiederbeschaffungswert ist dies eher nicht der Fall.
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Das Thema nimmt aktuell erheblich Fahrt auf und ist sowohl für den reinen Totalschaden, aber auch für all diejenigen Fälle relevant, in denen die kalkulierten Reparaturkosten nur knapp unterhalb der Grenze zum Totalschaden liegen. Wendet der Versicherer nämlich mit Erfolg ein, dass der Wiederbeschaffungswert aufgrund von Alt- oder Vorschäden zu reduzieren ist, dann rutscht der Schaden ganz schnell von einem Reparaturschaden in einen Totalschaden – mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen.
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