Im Schadenfall sind Versicherer zur Erbringung der geschuldeten Leistung verpflichtet. Abhängig von der konkreten Konstellation, kann sich deren Umfang aus Gesetz oder Vertrag ergeben. Bei der Frage des „Ob“ und „Wie“ kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten, da die Ansichten von Versicherer und Versicherungsnehmer – z.B. in der Kaskoversicherung – auseinandergehen.
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungsbranche und der jeweiligen Versicherungssparte angepasst. In der Kraftfahrtversicherung sind dies die AKB. Seit der Deregulierung sind auch diese Bedingungen unternehmensindividuell verschieden, auch wenn sie sich in der Regel an den Musterbedingungen des GDV orientieren.
Wie sind Versicherungsbedingungen auszulegen?
Gehen die Ansichten über den Inhalt der Bedingungen Klausel auseinander, greift – auch bei AVB – die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Diese setzt voraus, dass bei der Auslegung der einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt aber „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Ist dies der Fall, muss der Verwender, d.h. derjenige der die Bedingungen vorgegeben hat, bei Unklarheiten die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen.
Für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass
“Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der
mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind“ (BGH, Urt. v. 02.11.2022, Az. IV ZR 257/21; v. 20.10.2021, Az. IV ZR 236/20; v. 06.07.2016, Az. IV ZR 44/15; v. 22.04.2015, Az. IV ZR 419/13; v. 11.03.2015, Az. IV ZR 54/14; v. 10.12.2014, Az. IV ZR 281/14; v. 23.06.1993, Az. IV ZR 135/92; v. 18.12.1991, Az. IV ZR 204/90).
Da die Vorstellungen des Verfassers der Bedingungen für die Auslegung nicht maßgeblich sind (BGH, Urt. v. 02.10.1985, Az. IVa ZR 184/83), hat „die Entstehungsgeschichte, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben. Versicherungswirtschaftliche Überlegungen können allenfalls insoweit Berücksichtigung finden, wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen“ (BGH, Urt. v. 18.12.1991, Az. IV ZR 204/90).
Es gilt das Benachteiligungsverbot
Weiterhin dürfen Versicherungsbedingungen Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligen. So hatte z.B. das Landgericht Koblenz darüber zu entscheiden, ob eine Vertragsstrafenregelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versicherers (AKB) gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB verstieß und daher unwirksam war.
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein von einem seiner Kunden die Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe von 500 € (für die Überschreitung der vereinbarten Jahresfahrleistung gefordert.
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe sah das Gericht auch grundsätzlich als unproblematisch an. Ohne eine Sanktionierung wäre es „sonst jedem Versicherungsnehmer risikolos möglich …, zu Lasten der Versichertengemeinschaft bei Antragstellung unangemessen niedrige Jahreskilometerangaben zu machen, um eine möglichst niedrige Versicherungsprämie zu zahlen.“
Als problematisch erachtete das Gericht jedoch den Umstand, dass die Vertragsstrafe von 500,00 Euro generell und unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls verwirkt sein sollte, sobald die vereinbarte Jahreslaufleistung auch nur geringfügig überschritten war.
Der Pressemitteilung des LG Koblenz vom 03.11.2021 zufolge, war bei einer „vom Einzelfall gelösten Betrachtung nach den streitgegenständlichen AKB bereits bei einer fahrlässigen Nichtanzeige von einer Überschreitung der Jahresfahrleistung von nur einem Kilometer und einem deshalb zu niedrig angesetzten Beitrag von 0,01 Euro eine Vertragsstrafe von 500,00 Euro verwirkt. Bei einem einfach fahrlässigen Verstoß steht diese Höhe der Vertragsstrafe im Hinblick auf das ggf. geringe Gewicht des Vertragsverstoßes jedoch außer Verhältnis zu dessen Folgen“ (LG Koblenz, Urt. v. 01.09.2021, Az. 16 S 2/21).