Will ein Autofahrer für sich die Unabwendbarkeit eines Unfalls beanspruchen, dann muss er sich verhalten haben wie ein „Idealfahrer“. Ein solcher Idealfahrer verfügt über ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinaus. Als unabwendbar ist ein Ereignis daher einzustufen, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt, die insbesondere die Einhaltung der geltenden Verkehrsvorschriften beinhaltet, nicht abgewendet werden kann.
Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sogenannten „Idealfahrers“ (z.B. OLG München, Endurteil v. 06.04.2022, Az. 10 U 627/21; OLG Hamm, Urt. v. 03.06.2016, Az. 7 U 14/16). Die Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in die Gefahrensituation geraten wäre und ob der Schädiger in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat.
Allerdings muss auch ein Idealfahrer “im fließenden Verkehr nicht jeweils einen solch großen Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug halten, dass er auch für den Fall, dass ihm ein beliebig schweres Fahrzeug mit beliebig hoher Ausgangsgeschwindigkeit auffährt, durch die von den genannten Parametern abhängige kollisionäre Geschwindigkeitsänderung keinesfalls auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgeschoben werden kann” (OLG Celle, Urt. v. 28.03.2012, Az. 14 U 156/11).
Was gilt, wenn ein Ereignis nicht unabwendbar war?
War ein Unfall für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG, kommt es beim Schadenersatzanspruch darauf an, wer den Schaden hauptsächlich verursacht, d.h. wer welchen Anteil am Unfall hat (z.B. OLG Schleswig, Urt. v. 08.10.2024, Az. 7 U 30/24). Entscheidend ist dabei das Ergebnis der genauen Prüfung aller Umstände, die beim Ablauf des Unfalls eine Rolle gespielt haben (vgl. BGH, Urt. v. 08.02.2012, VI ZR 10/11; OLG Frankfurt, Urt. v. 31.03.2020, Az. 13 U 226/15).
Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge werden nur unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt.
Dabei geht es um die von beiden Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr. Das heißt, jeder Halter muss beweisen, was dem anderen Fahrer vorzuwerfen ist und welche Umstände er für sich nutzen will und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund einer geschaffenen Gefährdungslage spielen bei der Abwägung keine Rolle (ständige Rechtsprechung des (BGH, Urt. v. 21.11.2006, Az. VI ZR 115/05; . 27.06.2000, Az. VI ZR 126/99; OLG Schleswig, Beschl. v. 08.06.2020, Az. 7 U 36/20).
Ob ein Unfallbeteiligter sich auf ein unabwendbares Ereignis berufen kann oder nicht, kann u.a. auch durch den Zustand des eigenen Fahrzeugs beeinflusst werden. So konnte sich z.B. ein nach links abbiegender Treckerfahrer nach einer Kollision mit einem überholenden Motorradfahrer schon deshalb nicht auf ein unabwendbares Ereignis berufen, weil der linke Außenspiegel verschmutzt war.
Abgesehen von dem Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 StVO, konnte jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Motorrad bei einer nicht durch Schmutz beeinträchtigten, freien Rücksicht, das Motorrad rechtzeitig bemerkt worden und der Unfall durch Abbrechen des Abbiegevorgangs hätte verhindert werden können (OLG Hamm, Urt. v. 02.07.2024, Az. 7 U 74/23).