Beim Seitenabstand sind insbesondere der Abstand zu überholten und entgegenkommenden Fahrzeugen sowie der Abstand zum Fahrbahnrand zu beachten.
Seitenabstand beim Überholen
Wer ein fahrendes Fahrzeug überholt, muss gemäß § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. In § 5 Absatz 4 Satz 3 StVO wird dieser für das Überholen von Fußgängern, Rad- und Elektrokleinstfahrzeugfahrern auf mindestens 1,5 Metern innerhalb und mindestens 2,0 Metern außerhalb geschlossener Ortschaften festgesetzt.
Die Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen
In einem Urteil des OLG Celle vom 01.11.2018 (Az. 14 U 61/18) heißt es z.B.:
„Wie groß der Abstand im konkreten Fall zu sein hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Dabei kommt es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge an. Auf einer breiteren Straße ist ein größerer Abstand zu erwarten, wobei bei großen Fahrzeugen, wie Lastkraftwagen, die unter Umständen einen Luftsog verursachen, auch ein größerer Abstand erforderlich sein kann.
Unter normalen Bedingungen sollte ein Meter ausreichen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.06.2001, Az. 1 U 77/01). Wird dieser Abstand nicht eingehalten, können eine Haftungsquote oder -teilung z.B. dann in Betracht kommen, wenn mit zu geringem Abstand an der geöffneten Tür vorbeigefahren wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 28.01.2014, Az. 16 U 103/13. Einzelfallabhängig kann der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand aber auch durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2014, Az. I-19 U 57/14).
Ungeachtet dessen soll der Seitenabstand beim Passieren so bemessen sein, dass ein (mindestens) geringfügiges Öffnen einer Fahrzeugtür noch möglich ist (BGH, Urteil vom 16.09.1986, Az. VI ZR 151/85; LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.09.2017, Az. 13 S 69/17). 34-35 Zentimeter reichen hierfür nicht aus (BGH, Urt. v. 03.07.1956 – Az. VI ZR 59/55; AG Frankenthal, Urt. v. 26.06.2020, Az. 3c C 61/19). 50 Zentimeter können dagegen schon genügen (KG Berlin, Beschl. v. 30.07.2009, Az. 12 U 175/08, m. w. N.).
Wer allerdings mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h und einem sehr geringen Seitenabstand von weniger als einem Meter an der innerorts liegengebliebenen Arbeitsmaschine vorbeifährt, an der Starthilfe geleistet wird, verhält sich verkehrswidrig und rücksichtslos, da er seine Fahrweise nicht – gemäß der aus § 3 Abs. 1 StVO folgenden Pflicht – den Verkehrsverhältnissen anpasst. Außerdem verstößt er gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme nach § 1 StVO. Beides kann zu einem Ausschluss des Mitverschuldens des Geschädigten führen (OLG Dresden, Urt. v. 28.04.2017, Az. 6 U 1780/16).
Beim Einfahren in eine Parklücke gilt, dass der einfahrende Fahrzeugführer darauf zu achten hat, ob sich noch Personen im Fahrzeug befinden und muss mit dem Aussteigen selbiger rechnen, § 1 StVO (LG Hagen, Urt. v. 20.12.2017, Az. 3 S 46/17; LG Amberg, Endurteil v. 19.07.2017, Az. 24 S 77/17).
Einem Urteil des OLG Saarbrücken zufolge, reicht bei einer langsamen Bergauffahrt beim Überholen eines Fahrradfahrers ein Seitenabstand von 1,30 Meter aus. Dem Gericht zufolge gilt dies insbesondere dann, wenn an einer Stelle überholt wird, die wegen des Straßenverlaufs über mehrere Kilometer hinweg die einzige Überholmöglichkeit bietet (Urt. v. 18.06.2020, Az. 4 U 4/19).
Dennoch muss der Überholende auf die Fahrweise des Eingeholten Rücksicht nehmen. Insbesondere darf er diesen nicht gefährden. Insbesondere muss er sich auch auf die Möglichkeit geringfügiger seitlicher Fahrbewegungen eines Radfahrers, insbesondere dessen häufig leicht schwankende Fahrlinie berücksichtigen. Das Überholen mehrerer Fahrzeuge einer Kolonne ist grundsätzlich nicht verboten, jedoch folgt hieraus eine erhöhte Sorgfaltspflicht (OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.12.2022, Az. 4 U 136/21).
Beim Überholen von Fahrzeugen des ÖPNV wie Linienbussen, Straßenbahnen und Schulbussen darf gemäß § 20 Abs. 2 und 4 StVO nur mit „einem solchen Abstand vorbeigefahren werden, dass eine Gefährdung von Fahrgästen ausgeschlossen ist.“ Regelmäßig sind hier ebenfalls mindestens 2,0 Meter einzuhalten.
Seitenabstand zum Fahrbahnrand
Der Seitenabstand zum Fahrbahnrand sollte zwischen mindestens 0,5 bis 1 m betragen (z.B. OLG Celle Urt. v. 06. 11. 2018, Az. 14 U 61/18). Dem entsprechend hat z.B. das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen festgestellt, dass ein Fahrzeugführer, der mit einem Sicherheitsabstand von 0,5 m vom rechten Bordstein fährt, nicht gegen das Rechtsfahrgebot verstößt (Hans. OLG Bremen, Urt. v. 13.12.1978, Az. 3 U 34/78). Das OLG Hamm hat für einen Pkw mit Anhänger im Bereich eines Fußgängerüberwegs einen Sicherheitsabstand von 0,6 m für ausreichend erachtet, wobei allerdings die konkrete Ausgestaltung, der Fahrbahnbreite und die Verkehrslage ebenfalls eine Rolle spielen (Urt. v. 14.07.2003, Az. 6 U 39/03).
Seitenabstand zu entgegenkommenden Fahrzeugen
Der Sicherheitsabstand zu entgegenkommenden Fahrzeugen muss untereinander mindestens 1 m betragen, wobei mindestens die Hälfte dieses Abstandes in der jeweiligen Fahrbahnhälfte frei bleiben muss (OLG München, Endurteil v. 02.06.2021, Az. 10 U 7512/20). Ist dies – auch bei vorsichtiger Fahrweise und niedriger Geschwindigkeit – nicht möglich, haben im Zweifel beide Fahrzeugführer anzuhalten und sich darüber zu verständigen, welcher von ihnen am stehenden Fahrzeug des anderen in langsamer Fahrt vorbeifährt (OLG Hamm, Urt. v. 07.06.2016, Az. 9 U 59/14).
Auch Radfahrer müssen den Seitenabstand beachten!
Zumindest dem OLG Karlsruhe zufolge, müssen Radfahrer grundsätzlich mit Schwankungen in der Fahrlinie eines vorausfahrenden Radfahrers rechnen. Ein Seitenabstand von ca. 32 cm beim Überholen (gemessen zwischen den Körpern der beiden Radfahrer) ist daher – jedenfalls auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg – in der Regel zu gering. Sollte auf einem 2 Meter breiten Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich sein, muss der schnellere Radfahrer gegebenenfalls vom Überholen absehen. Etwas anderes kann gelten, wenn vor dem Überholvorgang eine Verständigung zwischen den Radfahrern stattgefunden hat (Urt. v. 30.05.2016, Az. 9 U 115/15).