Geschädigte haben Anspruch auf vollständige Entschädigung. Das ist klar. Was „vollständig“ aber genau bedeutet, darüber gehen die Meinungen oftmals auseinander. Kein Zweifel besteht daran, dass ein etwaiges Mitverschulden den Anspruch mindern kann. Das ist rechtsdogmatisch auch in Ordnung.
Warum sollte ein Geschädigter, wenn er den Schaden mitverursacht hat, den kompletten Schadenersatz dafür erhalten? Daran, dass der Schadensersatz – wenn auch prozentual vermindert und bezogen auf den verbleibenden Teil – vollständig zu leisten ist, ändert dies jedoch nichts. Bei einem 30%igen Mitverschulden hat der Geschädigte dann eben „nur“ einen Ersatzanspruch in Höhe von 70%. Diesen Anspruch hat er dann aber zu 100%.
Fehlt ein Mitverschulden, hat die Verkürzung aber keinen Platz mehr. So einfach ist das.
Zu Konflikten kommt es immer wieder, wenn es um die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Positionen, insbesondere auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung geht. Dabei können Geschädigt gemäß § 249 Abs. 2 BGB frei wählen, ob sie einen Schaden reparieren lassen oder fiktiv abrechnen wollen. Den Anspruch auf vollständigen Schadensersatz haben sie in beiden Fällen. Versicherer sehen das gerne anders.
Hat ein Sachverständiger den Schaden qualifiziertes begutachtet, eignet sich das Gutachten als Grundlage sowohl für die tatsächliche als auch die fiktive Abrechnung. Versicherer wissen das. Dennoch werden – um den geschuldeten Betrag zu drücken – immer wieder Streichkonzerte bei einem entsprechend instruierten Prüfdienstleister in Auftrag gegeben.
Dieser spielt dann seine Partitur vom Blatt ab und streicht munter drauf los. Am Ende sollen dann verschiedene Beschädigungen „nicht erkennbar“ oder „nicht nachvollziehbar“ sein. Eine einzelfallbezogene Befassung mit dem fachlich fundierten Gutachten lässt sich dabei in der Regel allerdings nicht erkennen.
Verwundern kann das nicht. Prüfberichte werden eben nicht neutral, sondern schematisch und anhand der Vorgaben des beauftragenden Versicherers erstellt. Angesichts dieser Misstöne lautet die „Konzertkritik“ dann eben auch immer wieder: nicht nachvollziehbar (vgl. z.B. OLG Braunschweig Urt. v. 27.06.2023, Az. 12 O 38/23).