Schnee- und eisbedeckte Fahrbahnen machen es auch LKW-Fahrern nicht leicht. Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 t müssen bei winterlichen Bedingungen zwar an allen Achsen mit Winterreifen ausgerüstet sein. Allerdings fehlt eine einheitliche Regelung in Europa und Güterfernverkehr findet international statt. Zudem kann eine Tour bei mediterraner Wärme beginnen und unversehens durch schneebedeckte Gebiete führen. LKW oder Gespanne, die mit Sommerreifen unterwegs sind, bleiben dann regelmäßig an Steigungen liegen. Für den Verkehr schaffen sie zusätzliche Gefahrenquellen und den Fahrern drohen Bußgelder sowie Punkte.
Was war passiert?
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt, war ein Autofahrer (Kläger) in einer Autobahnabfahrt mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, als er an einem liegengebliebenen LKW vorbeifuhr Das entgegenkommende Fahrzeug sollte angeblich erst aufgetaucht sein, als der Überholvorgang schon fast beendet war. Beim Abbremsen sei es glättebedingt in die Fahrspur des Klägers geraten. Der Kläger gab an, mit angemessener Geschwindigkeit im Schritttempo gefahren zu sein. Den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden verlangte er vom Unfallgegner ersetzt und klagte. Dieser war indes der Auffassung, der Kläger sei alleine für den Unfall verantwortlich.
War der Unfall unabwendbar?
Da sich der Unfall beim Betrieb der Fahrzeuge ereignet hatte. Der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG stand daher grundsätzlich nichts im Wege, es sei denn, es hätte sich bei dem Unfall um ein unabwendbares Ereignis gehandelt. Dies wäre der Fall gewesen, wenn ihn auch ein Idealfahrer, trotz Einhaltung jeder nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt, nicht hätte vermeiden können. Dem eingeschalteten Sachverständigen zufolge, war diese Voraussetzung aber nicht gegeben, auch wenn es zum Unfallzeitpunkt stark schneite und glatt war.
Waren die Unfallbeteiligten zu schnell?
Entscheidend war daher, ob die Fahrweise der Unfallbeteiligten den Witterungsverhältnissen entsprechend angepasst war. Um dies herauszufinden stellte das Gericht die Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge gegenüber und wog sie gegeneinander ab. Dabei überwog die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs derart, dass sie hinter diejenige des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktrat.
Ausschlaggebend war die Fahrweise des Klägers. Das Gericht stufte sie als erheblich fehlerhaft und verkehrswidrig ein und warf ihm einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 6 StVO vor. Wörtlich heißt es dazu in dem Urteil: „Nach § 6 S. 1 StVO muss, wer an einer Fahrbahnverengung, einem Hindernis auf der Fahrbahn oder einem haltenden Fahrzeug links vorbeifahren will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. … § 6 S. 1 StVO hat hier für den Kläger zur Folge, dass er als derjenige, auf dessen Fahrbahn sich das Hindernis befunden hat und der die Gegenfahrbahn mitbenutzen musste, eine Wartepflicht traf.“ Er hätte daher warten müssen, bis das andere Fahrzeug die durch den LKW erzeugte verengte Passage passiert gehabt hätte und die Straße frei gewesen wäre (OLG Saarbrücken, Urt. v. 09.01.2014, 4 U 405/12). Dies hatte er nicht getan.
Hätte der Gegenverkehr warten müssen?
Bevorrechtigter Gegenverkehr muss nur warten, wenn er erkennen kann, dass der Wartepflichtige bereits zu Recht begonnen hat den verengten Teil zu befahren. Dem Sachverständigem zufolge war dies aber nicht gegeben. Zudem hätte der Kläger, selbst wenn er das entgegenkommende Fahrzeug nicht hätte sehen können, so fahren müssen, dass es ihm jederzeit möglich gewesen wäre anzuhalten und die Gegenfahrbahn zu räumen. Seine Geschwindigkeit war aber so hoch gewesen, dass ihm ein Anhalten und Räumen der Verengung, gerade auch in Hinblick auf die widrigen Wetterbedingungen, nicht jederzeit möglich war. Im hätte also klar sein müssen, „dass mögliche Ausweichmanöver durch die Gegenseite ungleich risikoreicher und schwerer zu realisieren sind“. Da die Betriebsgefahr seines PKW daher in ganz besonders erheblichem Maße erhöht war, traf ihn eine Haftung von 100 %.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Das Urteil verdeutlicht zwei Dinge: So wie die Fahrweise den Witterungsbedingungen anzupassen ist, so kommt es auch auf die Umstände des Einzelfalls an. Diese liegen aber weder immer klar auf der Hand noch müssen sie den Schilderungen der Gegenseite entsprechen. Anwaltlicher Beistand ist dann sinnvoll. Ob es um die Durchsetzung eigener oder die Abwehr fremder Forderungen geht, ist dabei grundsätzlich egal.
Urteil: LG Saarbrücken, v. 13.09.2018, Az. 14 O 126/16
Leitsatz: Fährt ein Verkehrsteilnehmer bei starkem Schneefall an einem stehenden Lkw vorbei und kollidiert er mit einem entgegenkommenden, bevorrechtigten Fahrzeug, obwohl er dieses vor Beginn seines Vorbeifahrvorgangs sehen konnte und musste und obwohl dieses mit angemessener Geschwindigkeit fuhr, so kommt eine alleinige Haftung des Wartepflichtigen in Betracht.