Die allfällige Frage lautet: Wer hat welchen Anspruch gegen wen und wer ersetzt welchen Schaden?
Beim mittleren Fahrzeug kommt es drauf an!
War das mittlere Fahrzeug bereits vollständig zum Stillstand gekommen und war der Fahrer der Situation quasi hilflos ausgeliefert, liegt ein Fall der höheren Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG nahe.
Da er BGH hat die Merkmale der höheren Gewalt in einem Urteil vom 28.05.2004, Az. VI ZR 267/03 plastisch und gut nachvollziehbar beschrieben.
Demzufolge ist höhere Gewalt ein „außergewöhnliches betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis zu verstehen, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht.“
Konnte der Fahrer des mittleren Fahrzeugs also nichts machen, sondern war er der Situation hilflos ausgeliefert, steht der Anspruch auf vollständigen Ersatz – sowohl des Front- als auch des Heckschadens – außer Frage.
Komplizierter gestaltet sich die Sachlage, wenn das mittlere Fahrzeug noch nicht vollständig zum Stillstand gekommen war. Zunächst fehlt es an einem Anscheinsbeweis dafür, dass das zuletzt auffahrende Fahrzeug die Ursache für den Frontschaden des mittleren Fahrzeugs gesetzt hat.
Das liegt einerseits daran, dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises nur dann greifen können, wenn einemeinem bestimmten Ergebnis eine typische Handlung vorausgegangen, d.h. das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch gewesen ist (OLG Celle, Urt. v. 23.03.2023, Az. 14 U 132/22).
Bei Kettenunfällen ist aber gerade dies nicht gegeben. Denn abgesehen davon, dass Kettenunfälle nicht zum typischen Alltagsgeschehen gehören, ist nicht auszuschließen, dass das mittlere Fahrzeug bereits vor dem Auffahren durch das Fahrzeug des Hintermannes seinerseits bereits auf das Fahrzeug des Vordermanns aufgefahren war (z.B. OLG Koblenz, Urt. v. 16.11.2020, Az. 12 U 207/19). Die Grundsätze des Anscheinsbeweises können deshalb nur für den Heckschaden zur Anwendung kommen (z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.12.1991, Az. 1 U 274/90).
Wenn aber der Bremsweg für den Hintermann – infolge des Auffahrens auf den Vordermann – verkürzt worden ist, haftet der zum Schluss Auffahrende nicht zwingend zu 100%.
Der Halter / Fahrer des mittleren Fahrzeugs muss daher beweisen, dass sein Fahrzeug gestanden hat, bevor es – als Folge des rückwärtigen Anstoßes durch den auffahrenden Hintermann – mit dem Heck des ersten Fahrzeugs kollidierte. Der Nachweis einer deutlichen Wahrscheinlichkeit der Verantwortlichkeit des zuletzt Auffahrenden genügt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 24.03.2010, Az. I-13 U 125/09).
Kann der Beweis nicht geführt werden, haftet der zuletzt Auffahrende nur für den Heckschaden des mittleren Fahrzeugs. Die Entschädigung für den Heckschaden des ersten sowie den Frontschaden des mittleren Fahrzeugs obliegt dann der Haftpflicht- bzw. Kaskoversicherung (sofern vorhanden) des „Mittelmanns“.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann sogar eine alleinige Haftung des mittleren Fahrzeugs in Betracht kommen. Dies ist der Fall, wenn der Fahrer dieses Fahrzeugs auf das erste Fahrzeug aufgefahren ist und dadurch den Bremsweg des dritten und zuletzt auffahrenden Fahrzeugs unzumutbar verkürzt hat (z.B. LG Osnabrück, Urteil vom 29. März 2022, Az 1 O 1867/20).
Die Ausführungen zeigen: Kettenauffahrunfälle können einfach sein. In der Regel sind sie dies aber eher nicht. Grundsätzlich hat der Halter des zuletzt auffahrenden Fahrzeugs seine Schäden selber zu tragen und die Schäden am ersten Fahrzeug werden nur dann nicht ersetzt, wenn dessen Fahrer den Unfall z.B. durch unverhofft scharfes Bremsen provoziert hat.
Bei dem mittleren Fahrzeug kommt es darauf an, ob es bereits gestanden und – sollte es sich noch in Bewegung befunden haben – den gebotenen Mindestabstand zum Vordermann eingehalten hat (BGH, Urt. v. 16.01.2007, Az. VI ZR 248/05).
Wer in einem Kettenauffahrunfall verwickelt worden ist, sollte dessen Auflösung weder den Versicherern der übrigen beteiligten Fahrzeuge überlassen noch sie selber in die Hand nehmen.
Wir wissen worauf es ankommt! Sprechen Sie mit uns! Wir regeln das für Sie!
Bildnachweis: Kreispolizeibehörde Herford / Pressestelle Herford