So verhielt es sich auch in einem vom Landgericht Lübeck entschiedenen Fall, in dem ein rückwärts ausparkendes Auto mit einem Fahrzeug in der Fahrgasse kollidierte (Urt. v. 19.07.2023 Az. 9 O 113/21).
Die entscheidenden Fragen waren auch hier: Was gilt beim Rückwärtsausparken und welche Höchstgeschwindigkeit darf in einem Parkhaus gefahren werden?
Wer rückwärts aus einer Parktasche ausparkt, muss sich so verhalten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Im Rahmen der sogenannten Pflichtenkonkretisierung ist dann die Wertung des § 9 Abs. 5 StVO zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 15.12.2015, Az. VI ZR 6/15).
Prinzipiell müssen Rückwärtsfahrende sich so verhalten, dass sie ihr Fahrzeug erforderlichenfalls sofort zum Stehen bringen können. Dies ist schon deshalb von Bedeutung, weil bei einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug, dessen Fahrer sich auf ein unfallursächliches Verschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises gegen den “Rückwärtsfahrer” gelten (z.B. OLG Saarbrücken, Urt. V. 09.10.2014, Az. 4 U 46/14).
Denn steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignet hat, der Rückwärtsfahrende also zum Zeitpunkt der Kollision noch nicht stand, spricht bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und dadurch den Unfall (mit-)verursacht hat (BGH, Urt. v. 11.10.2016, Az. VI ZR 66/16; v. 26.01.2016, Az. VI ZR 179/15).
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die erhöhte Sorgfaltspflicht ohnehin nur rückwärtsfahrende Fahrzeugführer betrifft. Was seitlich parkende Fahrzeuge betrifft, gilt nur die jedem Verkehrsteilnehmer obliegende allgemeine Rücksichtnahmepflicht des § 1 Abs. 2 StVO (z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.05.2004, Az. 1 Ss 182/04).
Die Begründung ist darin zu sehen, dass § 9 Abs. 5 StVO primär die besondere Sorgfaltspflicht gegenüber dem fließenden Verkehr regelt. Der mit dem fließenden – und deshalb in der Regel rascheren – Verkehr verbundenen erhöhten Unfallgefahr soll durch eine gegenüber der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 2 StVO gesteigerte Sorgfaltspflicht desjenigen begegnet werden, der im fließenden Verkehr rückwärtsfährt oder in diesen Verkehr rückwärts einfährt (s.a. OLG Hamburg, Beschl. v. 12.11.1999, AZ. II – 110/99, zum Rückwärtsfahren auf einer Richtungsfahrbahn im Zu- und Ausfahrtbereich einer öffentlichen Tiefgarage.
Spannend wird es auch, wenn zwei Fahrzeuge kollidieren, während sie gleichzeitig aus gegenüberliegenden Parktaschen zurücksetzen (Rückwärts aus der Parklücke: Bei Kollisionen gilt nicht immer die 50%ige Haftungsquote!).
Wer auf einem Tankstellengelände, z.B. an einer Zapfsäule, rückwärts fährt und mit einem dahinter stehenden Fahrzeug kollidiert, muss ich daher auch nur einen einfachen Sorgfaltsverstoß vorwerfen lassen. Denn hier hat weniger das Bestreben nach möglichst zügiger Ortsveränderung Bedeutung, sondern das Befahren des Tankstellengeländes dient dem Aufsuchen von Tanksäulen oder sonstiger Einrichtungen der Tankstelle (OLG Dresden, Beschl. v. 11.12. 2006, Az. Ss (OWi) 650/06).
Die Antwort lautet: „Hilfsmittel wie Rückfahrkameras sind nützlich, eignen sich aber meistens nur dazu, das Parken zu erleichtern und die Stoßstange zu schonen. Einen großzügigen Überblick auf die rückseitige Fahrbahn, der für ein gefahrloses Rückwärtsfahren notwendig ist, liefern die Rückfahrkameras nicht. Daher sind diese Hilfsmittel als ergänzende Unterstützung heranzuziehen. Ein Verlass ausschließlich auf diese ist aber nicht ausreichend“ (siehe: Rückfahrkamera oder Blick nach hinten?).
Selbst eine Einstellung, die das Fahrzeug nur von oben aus der „Vogelperspektive“ zeigt, führt nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Mitverschulden. Denn zum einen ist die Wirkung einer Rückfahrkamera ohnehin begrenzt, so dass sich die Wahl der „falschen“ Perspektive über die festgestellte Pflichtverletzung des unvorsichtigen Einparkens hinaus nicht zwingend auf den Unfall auswirken muss. Hinzu kommt, dass der Unfallgegner beweisen muss, dass tatsächlich eine von vornherein ungeeignete Kameraeinstellung gewählt wurde.
Abgesehen davon, dass auch hier bloße Behauptungen nicht ausreichen, gibt es verschiedene Rückfahrkameras mit unterschiedlichen Winkeln und Einstellungen, die unterschiedliche Erfassungsbereiche abdecken können. Behauptet der Unfallgegner, es sei die „falsche“ Einstellung gewählt worden, muss er dies auch beweisen. Wer hier vor Ort zu viel redet und nicht aufpasst, kann sich leicht in die Nesseln setzen. Aber abgesehen davon, auf die Rückfahrkamera alleine darf man sich der gängigen Rechtsprechung zufolge ohnehin nicht verlassen.
Grundsätzlich muss auf Parkplätzen immer mit Ein- und Ausparkvorgängen anderer Autofahrer zu rechnen. Auch Autofahrer in der Fahrgasse haben daher erhöhte Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten zu beachten.
Als Faustregel gilt: Die sich ständig wechselnden Verkehrssituationen auf einem Parkplatz erfordern insbesondere die Einhaltung von Schrittgeschwindigkeit und ständige Bremsbereitschaft. Schrittgeschwindigkeit bedeutet dabei eine sehr langsame Geschwindigkeit, die der eines normal gehenden Fußgängers entspricht, also in der Größenordnung von 4 bis 7 km/h (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.03.2017, Az. I-1 U 97/16; Urt. v. 15.09.2015, Az. I-1 U 265/14; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 28.03.1996, Az. 2 S 10597/89: Schrittgeschwindigkeit in Fahrgasse 5 km/h: Haftung noch 60 : 40 zu Lasten des Rückwärtsfahrenden bei grobem Verschulden des Rückwärtsfahrenden; KG VerkMitt. 1984, Nr. 36: im Parkhaus nicht schneller als 10 km/h; OLG Stuttgart, Urt. v. 19.01.1990, Az. 2 U 23/89: Geschwindigkeit von 15 km/h bis 20 km/h.
Die Rechtsprechung zu Parkplatzunfällen zeigt sowohl, dass Fahren auf Parkplätzen besondere Rücksicht und Aufmerksamkeit erfordert als auch, dass die Klärung der Verschuldensfrage und damit der Haftung alles andere als einfach ist. Wer in einen Parkplatzunfall verwickelt worden ist, sollte sich daher weder vom Unfallgegner einschüchtern noch gar zu einem vorschnellen und unüberlegten Schuldeingeständnis verleiten lassen.
Besser ist es uns zu kontaktieren und dem Unfallgegner zu antworten Voigt regelt das für mich!
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