Wer – beispielsweise aufgrund eines Unfalls – mit seinem PKW liegenbleibt, hat das Warnblinklicht einzuschalten, wenn sein Fahrzeug nicht ohne weiteres als Hindernis wahrgenommen werden kann (§ 15 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung [StVO]). Wird dies unterlassen und kommt es zu einem Folgeunfall, haftet der Liegengebliebene für den Schaden. Doch was, wenn der Geschädigte selbst zu schnell fährt? Wer haftet dann für den Schaden? Mit dieser Problematik musste sich das Oberlandesgericht (OLG) Celle in seinem Urteil vom 05.08.2020 (Az. 14 U 37/20) auseinandersetzen.
Im November 2015 kam es am späten Abend an einer Kreuzung zu einem Verkehrsunfall zwischen zwei Fahrzeugen: Ein Autofahrer wollte links abbiegen und übersah das ihm entgegenkommende Fahrzeug. Durch den Zusammenstoß geriet das entgegenkommende Fahrzeug an den Straßenrand, teilweise bis auf den Grünstreifen – sein Fahrer schaltete den Warnblinker an. Der Wagen des Linksabbiegers blieb quer zur Fahrbahn mittig auf der Kreuzung liegen. Der Fahrer verließ den wagen, jedoch ohne den Warnblinker einzuschalten.
Kurze Zeit später kollidierte ein drittes Fahrzeug mit dem Wagen des Linksabbiegers, wobei der Fahrer verletzt und beide Fahrzeug erheblich beschädigt wurden. Der Dritte wollte den Schaden an seinem Fahrzeug vom liegengebliebenen Linksabbieger ersetzt wissen und wandte sich an dessen Haftpflichtversicherer. Gleichzeitig forderte der Linksabbieger den Haftpflichtversicherer des Dritten auf, seinen – durch den Folgeunfall entstandenen – Schaden zu regulieren.
Sowohl der Dritte als auch der Linksabbieger sahen die vollständige Haftung beim jeweils anderen. So verklagte der Dritte den Linksabbieger auf Schadensersatz und die Angelegenheit kam vor Gericht.
Das zunächst angerufene Landgericht (LG) Hannover hörte den Dritten sowie den Linksabbieger an und ließ ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten einholen. Es stellte dabei fest, dass der Linksabbieger zwar gegen das Gebot den Warnblinker einzuschalten verstoßen hatte. Gleichzeitig war der Dritte jedoch zu schnell gefahren und dabei gegen das Sichtfahrgebot verstoßen. Mit Urteil vom 10.02.2020 (Az. 12 O 179/16) kam das Landgericht zu dem Schluss, dass der Verstoß des Dritten schwerer wog als der der Linksabbiegers. Daher sprach es ihm lediglich 30 Prozent des geltend gemachten Schadens zu.
Der Dritte war mit diesem Urteil nicht einverstanden und ging in Berufung. Schließlich habe das Landgericht – seiner Auffassung nach – außer Acht gelassen, warum der Linksabbieger überhaupt quer auf der Straße stand: Er hatte den Erstunfall verschuldet. Der Linksabbieger dagegen wehrte sich gegen seine 30-prozentige Haftungsquote. Die überhöhte Geschwindigkeit des Dritten sollte seiner Meinung nach stärker ins Gewicht fallen und die Betriebsgefahr, die von seinem Fahrzeug ausging, zurücktreten lassen, mit der Folge, dass er dem Dritten überhaupt nicht hafte.
Das OLG wertete den Fall anders. Sie sprachen dem Dritten gleich zwei Drittel des geltend gemachten Schadensanspruchs zu – einen Anteil von einem Drittel muss er sich im Hinblick auf seinen Mitverursachungsanteil am Unfallgeschehen abziehen lassen.
In der Begründung heißt es dazu, dass es zwar ohne den Erstunfall nicht zum Folgeunfall gekommen wäre und der Linksabbieger es im weiteren Verlauf unterlassen hat den Warnblinker – zumal bei Dunkelheit – einzuschalten.
Allerdings fuhr der Dritte mit 90 km/h statt der zulässigen 70 km/h. Hätte er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung gehalten, wäre es lediglich zu einer Streifkollision gekommen. Ohnehin sei es in der Situation angebracht gewesen auch langsamer zu fahren: Denn (
) das ebenfalls liegengebliebene Fahrzeug (
), das sich am Straßenrand und teilweise auf dem Grün befand, [war] aufgrund des eingeschalteten Warnblinklichts weithin sichtbar. Dieses Warnsignal hätte er zum Anlass nehmen müssen, besonders aufmerksam zu sein und seine ohnehin zu hohe Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich ggf. weiter reaktions-, also insbesondere bremsbereit zu halten.
Außerdem habe der Dritte entweder gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 Absatz 1 Satz 2 und 4 StVO verstoßen. Denn: Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Kraftfahrzeugführer bei Dunkelheit – auch auf der Autobahn und auf der Überholspur – grundsätzlich nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke anhalten kann
. Oder aber er verstieß gegen die Grundregel aus § 1 Absatz 2 StVO, weil er unaufmerksam war und den Wagen des Linksabbiegers zu spät bemerkte – möglicherweise aufgrund der Konzentration auf den Wagen am Fahrbahnrand.
Bei Verkehrsunfällen wird häufig über die Haftungsverteilung gestritten. Vor allem wenn beide Unfallbeteiligten mit ihrem Verhalten zum Unfallgeschehen beigetragen haben, ist dies eine Frage der Gewichtung. Dabei können – je nach Unfallkonstellation – unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Wichtig ist bei der Aufklärung des Unfallgeschehens eine klare und eindeutige Schilderung. Bereits kleine und unbeabsichtigte Zweideutigkeiten können dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners eine Grundlage dafür bieten, um seine Haftung in Frage zu stellen.
Daher ist eine frühzeitige Beteiligung eines erfahrenen Rechtsbeistands unverzichtbar. Sprechen Sie mit uns! Voigt regelt!