Das Kammergericht (KG) Berlin hat die Frage abschließend beantwortet.
Einem Autofahrer wurde vorgehalten einem Einsatzfahrzeug, das mit Blaulicht und Martinshorn fuhr, nicht freie Bahn geschaffen zu haben. Er berief sich dabei darauf, dass er aufgrund der Eigengeräusche seines Autos das Martinshorn des herannahenden Einsatzwagens nicht wahrgenommen habe. Allerdings ließen diesen Einwand weder das Amtsgericht Berlin-Tiergarten noch das Kammergericht gelten (Az. 319 OWi 138/19 09.10.2019; 3 Ws (B) 11/20, 3 Ws (B) 11/20 – 162 Ss 167/19 v. 18.02.2020) jedoch nicht ausreichen. Gegen dieses Urteil legte der Autofahrer Rechtsbeschwerde beim KG Berlin ein.
Das Kammergericht verwarf die Rechtsbeschwerde des Autofahrers als unbegründet. In seinem Beschluss merkte das Gericht lediglich an: Nach § 38 Abs. 1 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer unmittelbar, nachdem er das Blaulicht und das Einsatzhorn wahrgenommen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können, sofort freie Bahn zu schaffen. Demnach muss der Betroffene dafür Sorge tragen, dass er das Einsatzhorn rechtzeitig hören kann (
). Im Falle von eingeschränkter oder gar fehlender Wahrnehmbarkeit des Einsatzhorns durch den Betroffenen in Folge körperlicher Einschränkungen oder – wie hier – der Eigengeräusche des Fahrzeuges (
) ist dies stets durch eine besonders aufmerksame Beobachtung der Verkehrslage auszugleichen (
). Dass der Betroffene dem nachgekommen ist, hat weder er selbst behauptet, noch ist dies den allein maßgeblichen Urteilsgründen zu entnehmen.
Das OLG Hamm hat bereits 2018 festgestellt (Urt. v. 04.05.2018, Az. 7 U 37/17), dass nach § 38 Abs. 1 StVO ein Wegevorrecht für Sonderfahrzeuge besteht, wenn sie sich unter Einsatz der Sondersignale blaues Blinklicht und Einsatzhorn nähern. Entscheidend für das Vorliegen einer Einsatzfahrt i.S.d. § 35 Abs. 5a StVO ist, dass sich der Fahrer nach der ihm bekannten Lage für berechtigt halten durfte, Sonderrechte in Anspruch zu nehmen.
Der Einsatz der Sondersignale ordnet gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 StVO an, dass alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen haben. Die gleichzeitige Nutzung von Blaulicht und Einsatzhorn ist Voraussetzung für die Anwendung von § 38 StVO. Das Sonderrecht nach § 35 Abs. 5a StVO muss hingegen nicht durch diese Sondersignale angezeigt werden.
Auf eine spätere objektive Betrachtung nach Beendigung der Einsatzfahrt kommt es nicht an.
Zur objektiven Berechtigung der Benutzung der Warnsignale hat das OLG Hamm folgendes ausgeführt:
“Bei § 38 StVO geht die überwiegende Rechtsprechung und Literatur zwar davon aus, dass das Gebot, freie Bahn zu schaffen, allein durch die Signale blaues Blinklicht und Einsatzhorn des Einsatzfahrzeugs ausgelöst wird und von den anderen Verkehrsteilnehmern sofort und unbedingt ohne Prüfung des Wegerechts zu befolgen ist. Da die übrigen Verkehrsteilnehmer in jedem Fall dem Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu schaffen haben, ist eine fehlende Berechtigung, Blaulicht und Einsatzhorn einzusetzen, nicht unfallursächlich; denn die straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten hängen nicht von der Berechtigung des Einsatzes von Blaulicht und Horn ab. Es ist den übrigen Verkehrsteilnehmern in der konkreten Verkehrssituation gar nicht möglich, die objektive Berechtigung für die Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn zu beurteilen. Es ist ihnen daher verwehrt, die Rechtmäßigkeit der Verwendung der Einsatzmittel in Zweifel zu ziehen, so dass sie ohne Prüfung der Sachlage sofort und unbedingt freie Bahn zu schaffen haben. Ausnahmen können nur in Fällen ganz offensichtlichen Missbrauchs (z.B. Freiwillige Feuerwehr auf Vergnügungsfahrt) angenommen werden (KG Berlin, Urteil vom 14.7.1997, Az. 12 U 1541/96; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.2.2008, Az. 1 U 114/07; KG Berlin, Urteil vom 18.7.2005, Az. 12 U 50/04; KG Berlin, Urteil vom 30.8.2010, Az. 12 U 175/09; OLG Dresden, Urteil vom 20.12.2000, Az. 12 U 2428/00; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.1991, Az. 1 U 129/90 “
Dies bezieht sich aber nur darauf, ob der Unfallgegner das Vorrecht einräumen muss und seinerseits gegen § 38 StVO verstößt, wenn er solches unterlässt.
Ob Oldtimer mit lautem Motor und kaum vorhandener Schallisolierung zur Fahrgastzelle, eine ausgetüftelte Schalldämmung der Fahrgastzelle oder die neueste Soundanlage am oberen Leistungslimit – es gibt zahlreiche Gründe, weshalb die Außengeräusche nicht ins Fahrzeuginnere dringen. Dies entbindet jedoch nicht von der Pflicht einem Einsatzfahrzeug Platz zu schaffen. In solchen Fällen wird vom Autofahrer eine gesteigerte Sorgfalt gefordert.
Nichtsdestotrotz kann es Situationen geben, in denen ein Ausweichen nicht ohne weiteres möglich ist. In solchen Fällen ist es ausnahmsweise zulässig auch auf einen Rad- oder Fußweg aufzufahren – vorausgesetzt, dass dadurch kein Radfahrer oder Fußgänger gefährdet wird. Ebenfalls kann es ausnahmsweise geboten sein über die Haltelinie einer roten Ampel zu fahren – aber auch hier unter äußerster Vorsicht und ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Für den Fall einer Blitzanlage, die Rotlichtverstöße aufzeichnet, ist es sinnvoll sich vorsorglich Datum, Uhrzeit und wenn möglich Kennzeichen und Fahrzeugart (Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen / Aufschrift des Organisation, etc.) zu notieren.
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Aktualisiert am 07.06.2024