Wer ein- oder anfahren will, hat dies gemäß § 10 StVO nicht nur rechtzeitig und deutlich durch die Nutzung der Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Zudem hat er sich dabei, unter Beachtung größtmöglicher Sorgfalt so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Dass der Einfahrende bei einem Unfall grundsätzlich zunächst den Anscheinsbeweis gegen sich hat gilt selbst dann, wenn er grundsätzlich auf die Beachtung der Verkehrsregeln durch den fließenden Verkehr vertrauen darf (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2011, Az. VI ZR 282/10).
Blinken, der Blick in den Rückspiegel sowie der berühmte Schulterblick sollten dabei obligatorisch sein.
Dem Kammergericht Berlin zufolge (Beschl. v. 15.08.2007, Az. 12 U 202/06), spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall dadurch zustande gekommen ist, dass der vom Fahrbahnrand Anfahrende die ihm nach § 10 StVO obliegende, gesteigerte Sorgfalt nicht hinreichend beachtet hat, wenn es beim Anfahren eines Kfz vom Fahrbahnrand, aber auch bei einer Einfädelung vom Beschleunigungsstreifen im Reißverschlussverfahren (vgl. LG Essen, Beschl. v. 08.04.2013, Az.15 S 48/13) zu einer Kollision mit einem Fahrzeug im fließenden Verkehr kommt.
Da der Schutzzweck des § 7 Abs. 5 StVO nicht dem ruhenden Verkehr oder dem vom Fahrbahnrand Anfahrenden (KG, Urt. v. 11.03.2004, Az. 12 U 285/02; OLG München, Urt. v. 25.03.1994, Az. 10 U 4856/93), sondern dem fließenden Verkehr gilt, haftet der vom Fahrbahnrand anfahrende alleine, wenn es zu einer Kollision mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs kommt, das nach rechts den Fahrstreifen wechselt, ohne den Anfahrenden rechtzeitig erkennen zu können.
Bei einem Unfall spricht der Anscheinsbeweis indes nur dann gegen den Einfahrenden, wenn der Einfädelungs- oder Einfahrvorgang noch nicht beendet war oder noch andauerte, d.h. wenn zwischen dem Vorgang des Einfahrens und der Kollision mit dem durchgehenden Verkehr ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn und solange sich der Einfahrende noch nicht vollständig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.02.1978, Az.12 U 169/77).
Der Rechtsprechung zufolge, soll ein örtlicher Zusammenhang von zehn bis zwölf Metern vom Ort des Anfahrens noch unmittelbar zum Einfädel- oder Einfahrvorgang gehören (OLG Dresden, Beschl. v. 05.02.2020, Az. 4 U 2191/19).
Wer auf die Autobahn auffährt, darf den Beschleunigungsstreifen auch als solchen benutzen. Fahrzeuge auf der Richtungsfahrbahn dürfen auf dem beschleunigungsstreifen auch rechts überholt werden, um sich dann in angemessenem Abstand davor einzufädeln. Ein Abbremsen, um sich dann in die nächste Lücke einzuordnen, wie die beim Reißverschlussverfahren üblich ist, ist nicht erforderlich. Anderes gilt, wenn sich während der Fahrt auf dem Beschleunigungsstreifen keine Möglichkeit zum Einordnen bietet.