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Fehleinschätzung beim Überholen

Das Überholen anderer Fahrzeuge im Straßenverkehr erfordert vorausschauendes Fahren, ein gutes Einschätzungsvermögen und zu einem gewissen Teil auch Erfahrung. Doch was, wenn sich der Überholende bei der für einen sicheren Überholvorgang erforderlichen Strecke oder der Leistungsfähigkeit des eigenen Fahrzeugs verschätzt? Genügt dies bereits für den Vorwurf einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs? Dieser Frage ging das […]
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09.09.2020
ca. 4 Minuten
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Das Überholen anderer Fahrzeuge im Straßenverkehr erfordert vorausschauendes Fahren, ein gutes Einschätzungsvermögen und zu einem gewissen Teil auch Erfahrung. Doch was, wenn sich der Überholende bei der für einen sicheren Überholvorgang erforderlichen Strecke oder der Leistungsfähigkeit des eigenen Fahrzeugs verschätzt? Genügt dies bereits für den Vorwurf einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs? Dieser Frage ging das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in seinem Beschluss vom 05.08.2020 (Az.: 1 Rv 34 Ss 406/20) nach.

Was war passiert?

Eine Autofahrerin überholte im Dezember 2018 einen LKW an einer unübersichtlichen Stelle der B 293. Dabei kollidierte sie beinahe frontal mit einem entgegenkommenden PKW. Dieser konnte den Unfall nur durch starkes Bremsen und ein Ausweichmanöver in die Böschung verhindern, wodurch der Wagen einen Schaden von circa 3.500 Euro erlitt.

Die Autofahrerin setzte ihre Fahrt dagegen unbeirrt weiter. Erst nach circa zwei Kilometern konnte sie von anderen Verkehrsteilnehmern, die den Unfall beobachtet hatten, zum Anhalten gebracht. Als sie zur Unfallstelle zurückkehren wollte, versuchte einer der Verkehrsteilnehmer dies zu verhindern. Die Autofahrerin fuhr jedoch auf sein Fahrzeug auf, wodurch dieser verletzt wurde und für zwei Monate arbeitsunfähig war.

Die Vorinstanzen

Das Amtsgericht (AG) Bretten entzog der Autofahrerin mit Beschluss vom 28.02.2019 vorläufig die Fahrerlaubnis und verurteilte sie mit Urteil vom 09.09.2019 (Az.: 2 Ds 120 Js 5027/19) wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung, entzog ihr die Fahrerlaubnis und verhängte eine 13-monatige Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis. Das Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde eingestellt und die Autofahrerin in den übrigen Vorwürfen freigesprochen.

Dagegen gingen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Autofahrerin in Berufung. Das Landgericht (LG) Karlsruhe verurteilte die Fahrerin daraufhin mit Urteil vom 10.03.2020 (Az.: 9 Ns 120 Js 5027/19) wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten, die Neuerteilungssperre wurde dagegen auf sechs Monate herabgesetzt. Dagegen legte die Autofahrerin Revision ein.

Keine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs

Das OLG hob das Urteil des Landgerichts bezüglich des Schuldspruchs auf. Seiner Auffassung nach lag lediglich ein fahrlässiges falsches Überholen vor. Dazu führte das Gericht aus: Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflos fährt.

Dies hätte in dem vorangegangenen Urteil festgestellt werden müssen, was nicht hinreichend erfolgt sei. Die äußeren Umstände können zwar grundsätzlich auf die innere Haltung schließen lassen, wenn beispielsweise quasi blind die Gegenfahrbahn in einer unübersichtlichen Rechtskurve genutzt wird. Derartig eindeutige Umstände lagen jedoch nicht vor. Für den Überholvorgang wären zwar 320 Meter erforderlich gewesen, an der Unfallstelle war die Straße jedoch bis 250 Meter überschaubar, so dass nicht von Rücksichtslosigkeit auszugehen war. Die Autofahrerin könne mit ihrem 141 PS starken Wagen der Fehleinschätzung unterlegen sein, ausreichend stark motorisiert zu sein, um den Überholvorgang kurze Zeit später [nach einem Kleintransporter] ebenfalls durchzuführen.

Im vierten Fahrzeug hinter dem LKW fuhr eine Zeugin, die beobachtet habe, dass die Angeklagte wiederholt bis an die Mittellinie herangefahren sei, als ob sie habe sehen wollen, ob sie an dem Lkw vorbeifahren könne, was ein paar Minuten angedauert habe und der Zeugin sehr nervös vorgekommen sei. Das Landgericht kam daher zu dem Schluss, dass die Autofahrerin in Eile war und daher gleichgültig handelte. Das OLG kritisierte dies: Insoweit zog die Kammer indes nicht in Erwägung, dass die Zeugin als objektiven Vorgang lediglich ein verkehrstypisches Verhalten der Angeklagten beim Überholen eines Lkw beobachtet hat, wenn diese – in ihrer eigenen Fahrbahnhälfte bleibend – sich um bessere Vorbeisicht an dem vorausfahrenden Lkw bemüht hat, um die Möglichkeit eines Überholvorgangs zu prüfen.

Fehlende Feststellungen zu weiteren Vorwürfen

Hinsichtlich der Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr stellte sich für das OLG die Frage, ob die unerfahrene Autofahrerin – unter dem Eindruck der Beinahekollision – den Geschädigten überhaupt wahrgenommen hat. Während ihres Wendemanövers fuhr sie rückwärts gegen die Leitplanke. Zum weiteren Geschehen sagte der Geschädigte selbst aus, er sei ihr dann direkt vor das Auto gelaufen. Über den Vorwurf der Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr müsse eine andere Kammer des Landgerichts neu befinden.

Keine Entziehung der Fahrerlaubnis

Damit blieb lediglich das fahrlässige falsche Überholen. Dafür kam lediglich ein Fahrverbot und keine Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht. Das OLG hob daher die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf und ordnete die Herausgabe des bei den Akten befindlichen Führerscheins an.

Kanzlei Voigt Praxistipp

Überholvorgänge sind oftmals nicht ganz unkompliziert. Daher erfordern sie eine besondere Sorgfalt. Doch nicht jede Fehleinschätzung führt automatisch zu einem grob verkehrswidrigem und rücksichtslosem Verhalten. Daher ist das frühzeitige Einschalten eines erfahrenen Rechtsbeistands wichtig, um die juristischen Feinheiten zutreffend einzuordnen. Die Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt helfen Ihnen mit Ihrem Fachwissen gerne weiter.

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