Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat mit Beschluss vom 14.07.2020 (Az. 2 Rv 35 Ss 175/20) darauf hingewiesen, dass für die Frage der absoluten Fahruntüchtigkeit nicht maßgeblich sei, ob ein Pedelec straßenverkehrsrechtliche als Kraftfahrzeug zuzuordnen sei. Es bestünden auch keine naturwissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse, dass die Fahrer von Pedelecs auch unterhalb der Grenze von 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration schon absolut fahruntüchtig seien. Dies dürfte für den betroffenen Pedelec-Fahrer, der mit einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 1,59 Promille mit einer Radfahrerin zusammengestoßen war, erleichternd gewesen sein.
Das Amtsgericht (AG) München verurteilte mit Urteil vom 09.01.2020 (Az. 941 Cs 414 Js 196533/19) einen 30-Jährigen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr einer Geldbuße von 2.200 Euro, verhängte ein dreimonatiges Fahrverbot, entzog ihm die Fahrerlaubnis und verhängte zudem eine Sperre von sieben Monaten vor einer möglichen Neuerteilung. Anlass war ein Wiesenbesuch, nach welchem der 30-Jährige die 400 Meter zum Hotel auf einem angemieteten E-Scooter zurücklegen wollte. Von der Polizei bei einer Schwerpunktkontrolle angehalten ergab eine später entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,35 Promille im Mittelwert.
Ausfallerscheinungen waren jedoch nicht zu beobachten gewesen. Daher stellte sich die Frage, ob E-Scooter Kraftfahrzeuge seien und die Grenze für die absolute Fahruntüchtigkeit daher bereits bei 1,1 Promille liege. Für die Richterin am AG München war die Antwort eindeutig: Gemäß § 1 Abs. 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge wie der E-Scooter Kraftfahrzeuge
. Dass der 30-Jährige dies nicht gewusst habe, sei ein vermeidbarer Verbotsirrtum. Er hätte sich – gerade bei Nutzung von neu im Verkehrsraum erschienenen Fahrzeugen – vor Fahrtantritt kundig machen müssen.
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) verwarf die dagegen gerichtete Sprungrevision des 30-Jährigen am 24.07.2020.
Das AG Dortmund (Urt. v. 21.01.2020, Az. 729 Ds 060 Js 513/19 – 349/19) ließ dagegen etwas mehr Milde walten. Dem mit 1,40 Promille und ohne Ausfallerscheinungen in einer Fußgängerzone fahrenden E-Scooter-Fahrer kam zugute, dass er geständig war und zur Tatzeit kein Verkehr in der Fußgängerzone herrschte. Das Gericht verhängte eine Geldbuße von 875 Euro, verhängte jedoch lediglich ein Fahrverbot und sah von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab.
Dabei setzte sich das Gericht auch mit der Entscheidung des Landgerichts (LG) Dortmund vom 08.11.2019 (Az.: 32 Qs 130/19) auseinander, bei der zwei Personen den E-Scooter nutzen und die Ausfallerscheinungen zu einem Sturz geführt hatten, weshalb eine Fahrerlaubnisentziehung geboten war.
In einem Beschluss vom 07.11.2022 (Az. 4 Qs 368/22) hatte das LG Oldenburg – bei der Nutzung eines E-Scooters durch zwei betrunkene Personen, bei der sich der fahruntüchtige Sozius am Lenker “festhielt” – geurteilt, dass der “Führer eines Fahrzeuges nicht nur derjenige (ist), der alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt, sondern auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (wie z. B. das Bremsen oder Lenken).
Begründet hat das Gericht dies mit der unverzichtbaren Koordination: “Allein das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt durch einen Sozius stellt – unabhängig von aktiven Lenkbewegungen nach links oder rechts, um eine Kurve zu fahren – ein Lenken des Fahrzeugs und damit das “Führen” eines Fahrzeugs i. S. d. § 316 StGB dar. Denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters führt dazu, dass dieser in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird: nämlich geradeaus. Dieses Inder-Spur-Halten des E-Scooters ist ein genuiner Lenkvorgang, weil ein kontrolliertes Fortbewegen des E-Scooters durch den Verkehrsraum, wenn beide Personen auf dem Roller sich am Lenker festhalten, nur durch ein Zusammenwirken durch beide Fahrer möglich ist. Das bedeutet auch, dass der E-Scooter in einer Art “Mittäterschaft” von beiden Fahrern gleichzeitig geführt wird.”
Das LG Dortmund kann aber auch anders. In seinem Beschluss vom 07.02.2020 (Az. 5 Qs 3/20) sah es trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille keine zwingende vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. Dabei war der Fahrer nach nur wenigen Metern gestürzt und nicht mehr weitergefahren. Dies könne auf die Einsicht des betroffenen Fahrers zurückzuführen sein, alkoholbedingt nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs in der Lage zu sein.
Diese Auffassung teilte auch das LG Halle in seinem Beschluss vom 16.07.2020 (Az. 3 Qs 81/20). Es sah die vermutete Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen bei einem E-Scooter-Fahrer, der 15 Meter in Schlangenlinien mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,27 Promille fuhr, ausnahmsweise widerlegt. Zur Begründung heißt es unter anderem, dass E-Scooter in ihrer Bauart, dem geringen Gewicht und dem Führen mit Hilfe des Gleichgewichts eher Fahrrädern gleichzusetzen seien.
Das AG Dresden (Urt. v. 11.02.2020, Az. 219 Cs 634 Js 55394/19) und das LG Dresden (Beschluss vom 27.03.2020, Az. 16 Qs 14/20) sehen bei einer Trunkenheitsfahrt mit 1,12 Promille einen Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis.
Aktualisiert am 16.03.2023