Wer annimmt, ein anderer Autofahrer würde auf seine Vorfahrt verzichten, ohne dass er diesen Verzicht deutlich zum Ausdruck gebracht hat, kann bei einem Unfall auf seinem Schaden sitzen bleiben.
So oder ähnlich lässt sich ein Urteil zusammenfassen, mit dem das OLG Hamm über einen Sachverhalt entschied, der sich an einer sogenannten T-Kreuzung – innerhalb einer verkehrsberuhigten Zone – abspielte.
Was war passiert?
Als sich die wartepflichtige Autofahrerin (Klägerin) langsam der Kreuzung näherte, hielt ein von rechts kommender Autofahrer an. Die Autofahrerin schloss daraus auf einen Vorfahrtsverzicht und fuhr in die Straße ein. Allerdings war auch der Autofahrer wieder angefahren und es kam zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge.
Die Autofahrerin meinte, sie habe aus dem Verhalten des Unfallgegners schließen dürfen, dass dieser zu ihren Gunsten auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet hatte. Da er sich vor dem Losfahren nicht nochmals vergewissert habe, ob u.a. die Klägerin sein Vorfahrtsrecht beachten würde, treffe ihn mindestens ein Mitverschulden. Sie meinte daher einen Schadensersatzanspruch zu haben und versuchte diesen gerichtlich durchzusetzen.
Was sagt das Gesetz?
Das Verhalten an Kreuzungen ist in § 8 StVO geregelt. Demzufolge hat grundsätzlich derjenige Vorfahrt, der von rechts kommt.
In § 8 Absatz 2 StVO heißt es: “Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass gewartet wird. Es darf nur weitergefahren werden, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Kann das nicht übersehen werden, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineingetastet werden, bis die Übersicht gegeben ist. Wer die Vorfahrt hat, darf auch beim Abbiegen in die andere Straße nicht wesentlich durch den Wartepflichtigen behindert werden.”
Welche Konsequenzen folgen daraus?
Wer aus einer Straße ausfährt und anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt gewähren muss, kann, wenn diese anhalten, nicht daraus schließen, dass sie deshalb auf ihre Vorfahrt verzichten (OLG Hamm, Urt. v. 24.07.2018, Az. 7 U 35/187). Dasselbe gilt, wenn Vorfahrtsberechtigte nur mit geringer Geschwindigkeit fahren (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.01.2012, Az. 9 U 169/10). Wartepflichtige dürfen erst dann von einem auf das Vorfahrtsrecht ausgehen, wenn sie sich in aller Eindeutigkeit darüber vergewissert haben, dass der andere Verkehrsteilnehmer auf seinen Vorrang verzichtet.
Dies gilt sowohl unter dem Aspekt des Vertrauensgrundsatzes, der in erster Linie den Vorfahrtsberechtigten schützt (BGH, Urt. v. 21.05.1985, Az. VI ZR 201/83) als auch in Hinblick darauf, dass Vorfahrtsverletzungen generell als schwerwiegender Verkehrsverstoß zu bewerten (OLG Karlsruhe, s.o.) sind. In dem hier zugrundeliegenden Urteil heißt es dazu: “Wer wartepflichtig ist, darf sich nicht darauf berufen können, dass der Vorfahrtsberechtigte mit potentiellem Fehlverhalten zu rechnen hat.”
In dem besprochenen Fall lag eine relativ einfache Vorfahrtssituation vor. Die Klägerin hatte gute Sicht auf die Kreuzung und es lagen Anhaltspunkte dafür vor, aufgrund derer der vorfahrtsberechtigte Autofahrer damit hätte rechnen müssen, dass “die Klägerin die Verkehrssituation nicht überblickt und ihre Fahrt unter Verletzung der Vorfahrt … fortsetzt.” Im Ergebnis musste die Klägerin ihren Schaden alleine tragen.
Praxistipp
Dem hier besprochenen Urteil lag ein relativ einfacher Sachverhalt zu Grunde. Allerdings ist nicht jeder Fall so einfach gelagert und komplizierte Unfälle sind – gerade im Kreuzungsbereich – an der Tagesordnung.
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