Die Einsparbestrebungen der Versicherer führen immer wieder zu Verkürzungen der Ersatzleistungen und dazu, dass Geschädigte erst dann vollständigen Schadenersatz erhalten, wenn sie diesen gerichtlich geltend machen.
So verhielt es sich auch in einem vom AG Kassel zu entscheidenden Fall (AG Kassel, Urt. v. 08.02.2018, Az. 435 C 4137/17), bei dem der Versicherer sich unter Bezugnahme auf einen sogenannten Prüfbericht weigerte, die Reparaturkosten vollständig zu begleichen.
Geschädigte haben Anspruch auf vollständigen Schadenersatz
§ 249 BGB regelt unmissverständlich, dass der Schädiger den Zustand wieder herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Bei einem Sachschaden bedeutet dies, dass der Versicherer die notwendigen Reparaturkosten zu erstatten hat. Als notwendig werden dabei die Kosten angesehen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen
(z.B. BGH, Urt. v. 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Dass der Geschädigte, wenn mehrere Optionen zur Verfügung stehen, im Rahmen der Schadenminderungspflicht den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat, wobei nicht nur die objektiven Umstände der Situation als solcher (z.B. BGH, Urt. v. 09.03.2010, Az. VI ZR 6/09), sondern auch die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten mit zu berücksichtigen sind, leuchtet ein.
Die Kosten der Begutachtung und das sogenannte Werkstattrisiko trägt der Schädiger
Der Schädiger, bzw. dessen Versicherer, trägt nicht nur die Kosten der Einholung des zur Schadenfeststellung erforderlichen Sachverständigengutachtens und die zur Wiederherstellung erforderliche Kosten, sondern auch das sogenannte Werkstattrisiko (bereits BGH, Urteil v. 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73). Wörtlich heißt es dort: “Bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs schuldet der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 Satz 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat; die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten.” Dies ist auch sinnvoll, da die Durchführung der Instandsetzung nicht nur dem Einflussbereich des Geschädigten entzogen ist, sondern dieser in der Regel auch nicht beurteilen kann, ob eine Maßnahme sinnvoll ist oder nicht.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht lediglich dann, wenn den Geschädigten ein sogenanntes Auswahlverschulden trifft (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2004, Az. 17 U 107/04), d.h. der Geschädigte hätte erkennen können oder müssen, dass die Werkstatt unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 31.01.1995, Az. 9 U 168/94).
Prüfberichte haben keinen höheren Anspruch auf Richtigkeit als ein Sachverständigengutachten
Die Frage, ob ein Hinweis der Versicherung des Schädigers, etwa in Gestalt des Schreibens der Beklagten vom 26.07.2017 nebst dazugehörigen Prüfbericht vom 11.07.2017, überhaupt geeignet ist, insoweit einem Geschädigten eine bessere Erkenntnismöglichkeit zu verschaffen,
lässt das Gericht offen. Allerdings weist es – vorsorglich – darauf hin, dass eine abweichende fachlich-technische Einschätzung seitens des Unfallgegners im Vergleich zum eingeholten eigenen Schadensgutachten sicher keine größere Vermutung der Richtigkeit in sich birgt, als das Schadensgutachten selbst.
Diese Einschätzung ist übrigens auch schon von daher zutreffend, als die Tätigkeit von Prüfdienstleistern in aller Regel weisungsgebunden und anhand vorgegebener Regelwerke erfolgt.
ETL Kanzlei Voigt Praxistipp
Während die Abwicklung von Verkehrsunfällen für Versicherer zum Alltagsgeschäft zählt, ist sie für die Geschädigten in der Regel eine Ausnahmesituation. Wenn Versicherer versuchen, dies zu ihren Gunsten zu nutzen, indem sie die Entschädigung kürzen, sollten Geschädigte dies nicht widerspruchslos hinnehmen.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Kassel zeigt einmal mehr, dass es Sinn macht, sich gegen die Kürzungsbestrebungen der Versicherer zur Wehr zu setzen. Damit die gelingt, sollte diese Aufgabe von Anbeginn einem entsprechend qualifizierten Anwalt übertragen werden. Die Anwälte der ETL-Kanzlei Voigt kämpfen dafür, dass Geschädigte die Entschädigung vollständig erhalten.
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